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Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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Kleine und deutete mit dem Kopf hinter Nells Schulter.
    Nell fuhr herum. Gut fünfzig Meter von ihnen entfernt stand ein hochgewachsener Mann mit flachem Zylinder, schwarzem Frack und brauner Hose an den Stamm einer riesigen Rotbuche gelehnt. Er lächelte und zog kurz seinen Hut, stieß sich dann von dem Baum ab und kam auf sie zu.
    â€žKennst du den?“ Gracie beobachtete Nell, die ihn noch immer ansah.
    â€žIch … ja, das heißt …“ Sie schaute von Will zu seiner Tochter, dann wieder zu Will. „Er ist ein Freund von mir.“ Die Worte gingen ihr erstaunlich leicht über die Lippen. Ein Freund. Wann genau waren sie und der schwierige, abgründige und dabei viel zu charmante William Hewitt eigentlich Freunde geworden?
    Sein Humpeln war kaum zu bemerken, weshalb Nell vermutete, dass er sich vor Kurzem eine Dosis Morphium verabreicht hatte. Als er sich gestern um Mitternacht vor der Tür seines Elternhauses von ihr verabschiedet hatte, war ihm das Gehen sichtlich schwergefallen – aber zu der Zeit waren gewiss auch schon über vier Stunden seit der letzten Injektion vergangen.
    Obwohl Patrick Nulty tatsächlich vor dem Poole’s auf sie gewartet hatte, hatte Will darauf bestanden, sie nach Hause zu begleiten. Er hatte Nells Schultertuch und ihren Handbeutel vom Kutscher geholt und ihn mit einem Vierteldollar als Dank für seine Mühe auf den Weg geschickt, hatte Nell beim Arm genommen und war mit ihr zurück zur Colonnade Row gelaufen. Er hatte sie gefragt, worüber sie mit Harry hatte reden wollen, und sie hatte ihm von Bridie Sullivans rätselhaftem Verschwinden erzählt, von ihrem Besuch in der Tuchfabrik und dem vergeblichen Bemühen, etwas aus Harry herauszubekommen. Sie erzählte ihm alles – sogar von ihrem Besuch bei Duncan und dessen ungebetenen Briefen, die sie erst zu dem Besuch gebracht hatten.
    Will wusste über Duncan nicht mehr, als dass Nell mit ihm zusammen gewesen war, bevor sie bei Dr. Greaves gelebt hatte, dass er sie vor acht Jahren übel zugerichtet hatte und eine dreißigjährige Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung abbüßte. Das war alles, was er wissen musste. Sie hatte ihm ihr damaliges Leben nicht in allen Einzelheiten geschildert und würde es auch nie tun. Ihn wissen zu lassen, was ihr durchaus schaden konnte, war das eine – etwas ganz anderes war es jedoch, ihm die Munition zu liefern, mit der er sie gegebenenfalls ruinieren könnte.
    Es machte sie traurig, einen Teil ihrer Vergangenheit vor diesem Mann geheim zu halten, mit dem sie im Laufe des letzten Winters zu einer nicht einfachen, doch sehr aufrichtigen Beziehung gefunden hatte. Sie mochten sich und vertrauten einander. Aber immer wieder musste sie daran denken, dass sie genau dasselbe einst bei Duncan empfunden hatte, und davor bei ihrem Bruder Jamie – und beide hatten sich als keineswegs vertrauenswürdig herausgestellt. Sollte ihre Menschenkenntnis sich in den letzten Jahren wirklich so entscheidend verbessert haben? Will gab sich seinen Lastern hin und lebte außerhalb der Gesellschaft und des Gesetzes – genau wie Duncan und Jamie. Vielleicht war er gar nicht so anders als sie. Vielleicht war er einfach nur geschickter, klüger und kultivierter und zeigte sein wahres Gesicht weniger offensichtlich.
    Und das machte ihn möglicherweise nur noch gefährlicher.
    â€žIst er nett?“, wollte Gracie wissen, die Will nicht aus den Augen ließ, während er langsam zu ihnen herüberkam. Während Nell noch nach einer unverfänglichen Antwort suchte, beantwortete die Kleine ihre Frage schon selbst: „Natürlich ist er nett, sonst wärt ihr ja keine Freunde – stimmt doch, oder?“
    â€žStimmt.“ Mehr oder weniger.
    Will zog abermals seinen Hut und verneigte sich, als er sich zu ihnen gesellte. „Meine Damen.“
    â€žWill.“ Ihre Blicke trafen sich einen kurzen bedeutungsvollen Moment lang. Nell spürte, wie unsicher er nun war, da er endlich Gracie gegenübertrat, und lächelte ihm aufmunternd zu.
    Gracie musterte Will aufmerksam, während sie ihre kleinen Hände noch immer sorgsam wie eine Schale voller Brotkrumen zusammenhielt.
    Nell sagte: „Wenn ich vorstellen darf: Miss Grace Elizabeth Lindleigh Hewitt. Gracie, das ist …“ Sie schaute Will an.
    Er hockte sich vor Gracie, damit er mit ihr auf Augenhöhe war. Sein Lächeln ging Nell zu Herzen.

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