Dunkel wie der Tod
⦠bis jetzt.â
Sie wollte ihn fragen, was er damit meinte, als sie auf einmal selbst verstand, dass ihre bloÃe Anwesenheit an einem solchen Ort wie diesem â noch dazu mit einem Sherry in der Hand und in Gesellschaft eines so zweifelhaft berüchtigten Mannes wie William Hewitt â genügte, um den Ruf einer jeden Gouvernante zu zerstören.
Harry betrachtete sie mit kaltem Blick, paffte an seiner Zigarre und schien sich bestens zu amüsieren. âWas glauben Sie wohl, würde mein Vater dazu sagen, dass ich Sie hier gesehen habe? Er wäre froh, endlich einen Grund zu haben, Sie loszuwerden.â
âIhre Mutter hat dies bereits einmal zu verhindern gewusstâ, entgegnete sie kühl. âUnd sie wird es wieder tun.â
âWas glauben Sie wohl, wie oft man Ihnen eine Gnadenfrist gewährt? Zweimal? Viermal? Früher oder später wird auch Mutter â so findig sie auch sein mag â Sie nicht mehr retten können.â
âDa wir gerade schon über ruinierte Reputationen sprechenâ, bemerkte Will, âwas glaubst du wohl, würde der Heilige Augustus sagen, wenn er wüsste, wie viele Flaschen der grünen Fee du in nur einer Woche trinkst? Oder wie viel Geld du an Orten wie diesem zurücklässt?â
âWas macht dich eigentlich so sicher, dass ich heute Abend nicht gewinne?â
âDas habe ich dir doch gesagt, Harry â es ist ein abgekartetes Spiel. Niemand gewinnt hier.â
Unheilvoll schweigend betrachtete Harry seinen Bruder und holte dann erneut aus: âWeiÃt du eigentlich, was für ein elender Bastard du bist, Will?â
âIn der Tatâ, meinte Will ungerührt durch eine Wolke blauen Dunsts hindurch. âDas weià ich schon eine ganze Weile.â
âNa dann ⦠Bruderherz ⦠Miss Sweeney â¦â Harry vollführte eine recht ungelenke Verbeugung vor ihr. âEs wäre ein Affront gegen Ihren scharfen Verstand, wenn ich sagen würde, es sei mir ein Vergnügen gewesen.â Er drehte sich um und ging davon.
âWollten Sie sich nicht mit Harry über irgendetwas unterhalten?â, fragte Will.
Nell seufzte nur.
âSoll ich ihn zurückrufen?â
Sie schüttelte den Kopf und hob ihr Glas an die Lippen. âWozu? Es bringt ja doch nichts.â
8. KAPITEL
âEssenszeit!â, rief Gracie lauthals und warf eine Handvoll Brotkrumen ins Wasser. âKommt her und holt sie euch!â
Sogleich erhob sich gieriges Geschnatter, als ein halbes Dutzend feister Enten zu dem kleinen Mädchen ans Ufer paddelten. Geschwind watschelten sie zu ihrer nachmittäglichen Mahlzeit, stritten sich um die leckersten Bissen, derweil Gracie vergnügt kicherte und in die Hände klatschte.
An den meisten Septembernachmittagen erinnerte der Public Garden an ein groÃes Gartenfest mit Scharen kleiner Kinder, die unter dem aufmerksamen Blick ihrer Mütter und Kinderfrauen auf dem Rasen herumtollten. Heute hingen düstere Wolken bleiern und schwer am Himmel, die Luft roch nach aufziehendem Regen, und der Park lag fast verlassen da. Nell hatte Gracie zu überreden versucht, den Nachmittag lieber in der Bibliothek zu verbringen oder im Naturgeschichtemuseum, aber davon wollte das kleine Mädchen nichts wissen. Gerade einmal vier Jahre alt und schon ein Gewohnheitsmensch, neigte sie dazu, recht auÃer sich zu geraten, wenn sie auf ihren täglichen Spaziergang samt Entenfütterung verzichten musste.
âKann ich noch mehr haben?â, fragte Gracie, als sie zu Nell herübergerannt kam, die nahebei auf einer Bank saÃ, eine in eine Serviette gewickelte altbackene Brioche auf ihrem SchoÃ.
âKönnen schonâ, meinte Nell, âaber â¦â
â Dürfte ich noch mehr haben?â
âNatürlich, wenn du so nett fragst. Aber du musst das Brot in kleinere Stückchen brechen ⦠schau, so.â Nell zog ihre ledernen Handschuhe aus, brach einen groÃen Brocken von dem Laib und zerkrümelte ihn in Gracies aufgehaltene Hände. âUnd wirf ihnen nicht alles auf einmal hin. Oh, und versuche, dich nicht allzu schmutzig zu machenâ, fügte sie noch hinzu und streifte die Brotkrümel von ihrem und von Gracies Mantel.
âMiss Sweeney, warum beobachtet uns der Mann da?â, fragte Gracie.
âWelcher Mann?â Nell lief eine Gänsehaut über den Rücken.
âDer da drübenâ, sagte die
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