Dunkel
Blickfeld kamen, aus dem Tunnel aufstiegen, der die Kehle des Mannes bildete. Ihre Gesichter waren vertraut - es waren die in Beechwood gestorbenen Menschen; aber auch Dominic Kirkhope war unter ihnen. Und Lynn.
Ihre Augen waren die einer Wahnsinnigen, Entsetzen und Haß lagen darin, doch ihre Lippen formten Worte, die Hilfeschreie waren. Sie bettelte. Sie flehte ihn an. Hilf mir!
Und er konnte nicht; die Zunge drückte auf ihn, umfing seinen Kopf und seine Schultern, erstickte ihn mit ihren klebrigen Säften, ließ ihn stürzen, zermalmte ihn. Bis alles explodierte. Und er war die Kugel, die durch das Gehirn des Mannes schlug. Und plötzlich wußte er, daß der Mann Boris Pryszlak war.
Er erwachte, noch immer schreiend, doch kein Ton kam über seine Lippen. Draußen war es hell, und er weinte fast vor Erleichterung.
Die Bierdose war leer, Bishop stellte sie zu seinen Füßen auf den Boden und ließ sich dann in seinen Lehnsessel zurückfallen, einen Arm auf die Lehne gestützt, die Hand über seine Stirn gelehnt, als wolle er seine Augen vor dem Lampenlicht beschirmen. Sein Kopf schmerzte, und jeder Muskel seines Körpers schien leblos zu sein. Er hatte an diesem Morgen mit Jessica gesprochen, sie angerufen, nachdem er im Radio die Nachrichten gehört hatte. Sie war zu Hause gewesen und hatte ihm gesagt, daß sie heute daheim bleiben würde, um sich um ihren Vater zu kümmern. Jacob hatte ebenfalls die Nachrichten über die bizarre Tragödie im Fußballstadion gehört, und auch er war sicher, daß sie im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Willow Street stand. Er war durch das Attentat noch immer geschwächt, hatte sie aber gebeten, ein Treffen am Abend vorzubereiten, zu dem alle kommen sollten, darunter auch Kommissar Peck. Selbst wenn der Polizist glaubte, daß sie alle verrückt seien, mußten sie versuchen, ihn davon überzeugen, daß es einen Zusammenhang zwischen Pryszlaks Sekte und den jüngsten Ereignissen gab. Bishop hatte erklärt, daß er sich den Abend freihalten würde; sie solle anrufen, sobald sie einen Termin gemachte hatte.
Bis jetzt hatte er noch nichts von ihr gehört und wurde allmählich besorgt. Diese Sorge trieb ihn schließlich aus dem Sessel in den Korridor. Gerade als er nach dem Telefon griff, klingelte es.
»Jessica?«
»Äh, nein. Mr. Bishop? Crouchley hier. Aus Fairfields.« Fairfields. Die Nervenheilanstalt. »Ist etwas mit meiner Frau?« Furcht sank wie eine Bleigewicht in Bishops Magen. »Es ist wichtig, daß Sie gleich herkommen, Mr. Bishop«, sagte die metallische Stimme.
»Ist mit Lynn alles in Ordnung?«
Eine kurze Pause entstand am anderen Ende. »Wir hatten etwas, das man als kleinen Durchbruch bezeichnen könnte. Ich glaube, wir brauchen Sie hier. Ich erkläre es, wenn Sie da
sind.«
»Ich brauche etwa zwanzig Minuten. Können Sie mir nicht etwas mehr sagen?«
»Es ist besser, Sie sehen das selbst.«
»Okay. Ich bin schon unterwegs.« Bishops Herz hämmerte, als er die Stufen noch oben lief, um
seine Jacke zu holen. Was hatte dieser »kleine Durchbruch« zu bedeuten? Löste sich Lynn endlich aus der Schale, in die sie sich geflüchtet hatte? Würde etwas Wärme, wie schwach auch immer, in ihren Augen sein, wenn sie ihn sah? Er zog seine Jacke an und rannte die Stufen hinunter. Eine neue Hoffnung stieg in ihm auf. Als das Telefon nur Augenblicke später wieder läutete, war das Haus bereits leer.
7
Bishop mußte sich zwingen, konzentriert zu fahren, als er Richtung Twickenham raste. Der Regen spritzte wie kleine Geschosse von der Straße. Zum Glück herrschte nicht viel Verkehr und er kam schnell vorwärts. Er war voller Erwartung; Crouchley mußte einen guten Grund gehabt haben, ihn um diese Abendstunde herauszurufen. Wenn Lynn endlich... Er verdrängte den Gedanken. Es war besser, nicht zuviel zu erwarten.
Es dauerte nicht lange, bis er die ruhige Sackgasse erreichte, an deren Ende sich das Fairfield -Heim befand. Er fuhr direkt durch die großen Eingangstore auf die breite Auffahrt, schlug die Wagentür zu und eilte die Stufen empor, die zum Haupteingang führten; der Regen benetzte die Brille, die er vergessen hatte abzunehmen. Er steckte sie in seine obere Jackentasche und klingelte dabei mit der anderen Hand. Das Heim war ein großes Ziegelgebäude, das rein äußerlich alles sein konnte — eine kleine Privatschule oder eine Residenz für Alte. Erst wenn man das unauffällige Schild gelesen hatte, das vorn an den Gittern befestigt war, bekam das
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