Dunkelheit soll dich umfangen: Thriller (German Edition)
wütend gemacht.«
Vanessa legte die Hände um die Kaffeetasse, um sich zu wärmen, um die Eiseskälte zu vertreiben, die sich jedes Mal in ihr ausbreitete, wenn sie an Jim dachte. »Jim war nicht einfach nur unberechenbar. Er war psychisch krank.« Nie zuvor hatte sie das laut gesagt, wenn sie es auch schon oft gedacht hatte.
Mit Scott hatte sie darüber geredet, dass Jim labil gewesen war, dass er aber richtig krank war, davon hatte sie nie gesprochen.
Gary legte die Stirn in Falten. »Was meinst du damit, psychisch krank?«
»Ich bin natürlich kein Psychiater, aber ich glaube, Jim war bipolar … manisch-depressiv. Immer wieder habe ich versucht, ihn dazu zu bringen, sich behandeln zu lassen, aber er hat sich geweigert. Ich glaube, er hatte Angst, dass Medikamente seine Arbeit beeinträchtigen könnten.«
»Jim war zwar ein sehr ernster Mensch, aber ich habe nie irgendwelche Anzeichen von einem psychischen Defekt bemerkt.«
Vanessa seufzte. »Du und Scott, ihr habt euch einmal im Monat mit ihm getroffen, über Kunst geredet und Wein getrunken. An den Abenden hat er es immer geschafft, seinen Defekt zu überspielen. Ich glaube, wenn er nicht von der Brücke gesprungen wäre, hätte ihn seine Kunst eines Tages ohnehin zerstört.«
»Wie geht’s denn dem Rest der Familie?«
In den nächsten Minuten brachte Vanessa Gary auf den neuesten Stand, was die diversen Abbotts betraf. Sie erzählte ihm von Steves neuem Laden, von Brians Aufstieg in der Graphikdesign-Firma und von Garretts fortgesetztem Bemühen, die richtige Frau zu finden.
»Da hast du jemanden, der wirklich einen Schaden hat«, sagte Gary grinsend. »Mir ist noch nie ein Typ begegnet, der so auf Misserfolg programmiert ist wie Garrett. Er geht mit den falschen Frauen aus, trinkt wie ein Loch und lässt sich noch von seiner Mami den Arsch abwischen.«
Vanessa musste lachen. Garys Beschreibung von Garrett hätte nicht treffender sein können. Mit seinen siebenunddreißig Jahren war ihr Schwager ein Muttersöhnchen. Er wohnte zu Hause und ließ sich von Annette die Wäsche waschen und das Essen kochen.
Das Läuten der Türklingel unterbrach das Gespräch. Vanessa entschuldigte sich und stand auf, um nachzusehen, wer es war.
Als sie die Tür öffnete, erstarrte sie, denn vor ihr stand ein Mann mit einem Strauß langstieliger rosafarbener Rosen. »Vanessa Abbott?«, fragte er lächelnd. Sie nickte, und er streckte ihr die Blumen entgegen. »Die sind für Sie.«
Wie versteinert starrte sie den Mann an. Noch ein Geschenk von ihrem heimlichen Verehrer? Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Blumenboten, und er streckte ihr den Strauß hin, so dass ihr nichts anderes übrigblieb, als ihn zu nehmen.
Der süße Duft der Rosen stieg ihr in die Nase. Sie dankte dem Mann. Als sie die Vase mit den Blumen in die Küche trug, war ihr, als hielte sie eine lebende Schlange in den Händen.
»Wow, Rosen. Irgendwas scheinst du richtig zu machen in deinem Leben«, sagte Gary, als sie die Vase auf die Küchentheke stellte. »Von wem sind die denn?«
In dem Strauß steckte ein kleines, weißes Kuvert. Vanessa zog es heraus, öffnete es und atmete erleichtert auf, als sie das Kärtchen las:
Ich hasse Konkurrenz. Danke für einen wundervollen Abend. Christian
Auf einmal erschienen Vanessa die Rosen, deren Anblick sie mit einer solchen Angst erfüllt hatte, noch schöner, der Duft schien noch berauschender zu sein.
»Von dem Mann, mit dem ich gestern aus war«, sagte sie zu Gary und steckte die Karte in den Umschlag zurück. Sie würde sie in ihre Andenkenschachtel legen.
»Muss ein gelungenes Date gewesen sein.«
Vanessa lächelte und setzte sich wieder an den Tisch. »Ja, das war es. Mein erstes seit Jims Tod.«
»Die Zeit bleibt nicht stehen.«
»Nein. Das Leben geht weiter«, antwortete sie.
Er lächelte. »Das freut mich für dich. Du hast es verdient, glücklich zu sein. Apropos Zeit, ich glaube, ich sollte allmählich mal raufgehen und mir Johnnys Bild ansehen. Und dann muss ich auch langsam los.«
»Geh du nur. Ich räume inzwischen das Geschirr weg.«
Als Gary draußen war, beugte Vanessa sich über die Vase mit den Blumen und sog den Rosenduft ein. Ihr wurde ganz schwindelig, und eine Vorfreude stieg in ihr auf, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte.
Sie konnte kaum erwarten, wieder mit Christian zusammen zu sein, sein verführerisches Lächeln zu sehen, seine starken Arme um sich zu spüren.
»Hoffentlich ist bald Freitag«, flüsterte
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