Dunkelheit soll dich umfangen: Thriller (German Edition)
weiß.« Vanessa drückte ihren Sohn an sich. »Dein Dad hat uns geliebt, auf seine Art, aber das war nicht genug, ich weiß. Er hatte Probleme, Johnny, eine Krankheit, die es ihm unmöglich machte, andere Menschen wirklich zu lieben. Es lag nicht an dir. Es hatte nie etwas mit dir zu tun.«
Johnny blickte eine ganze Weile nachdenklich vor sich hin. »Ist es okay, wenn ich nicht mehr so oft male?«, fragte er schließlich. »Ich will euch nicht enttäuschen, aber irgendwie macht es mir nicht mehr so viel Spaß.«
»Ach, Johnny, wie oft habe ich dir gesagt, dass ich dich nur glücklich sehen will. Du kannst noch dein ganzes Leben lang malen, wenn du möchtest. Aber ein Kind bist du nur einmal, und deshalb solltest du jetzt all die Dinge tun, die Spaß machen.«
»Christian will mir zeigen, wie man Football spielt. Ich glaube, das macht Spaß.« Seine Augen funkelten, und Vanessa wurde ganz warm ums Herz.
Sie löste sich von Johnny und stand auf. »Ich sehe mal nach den Brötchen.« Als sie schon fast an der Tür war, rief er sie. Vanessa drehte sich zu ihm um.
»Ich hab dich lieb, Mom.«
Das Herz drohte, ihre Brust zu sprengen. »Ich hab dich auch lieb«, sagte sie.
Kurz darauf kam Christian. Er trug einen Pullover mit einem rotnasigen Rudolph auf der Brust und hatte den Arm voller Geschenke. Sein breites Lächeln erhellte das Haus bis in die dunkelste Ecke.
»Hier duftet’s aber gut«, sagte er, als Johnny ihm half, die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum zu stapeln.
»Mom hat den ganzen Tag gekocht.«
»Und das kommt jetzt alles auf den Tisch«, rief Vanessa ihnen von der Küche aus zu.
»Kannst du Schach spielen?«, fragte Johnny Christian auf dem Weg in die Küche.
»Ich hab schon ewig nicht mehr gespielt, aber mit einem Zehnjährigen sollte ich es noch aufnehmen können.«
Während des Essens fragte sich Vanessa verwundert, wie Christian je daran hatte zweifeln können, das Zeug zu einem guten Vater zu haben. Er tat nicht nur so, als hörte er zu, wenn Johnny etwas sagte; er hörte wirklich zu. Er verfügte über eine Engelsgeduld und hatte einen Humor, mit dem er Johnny ständig zum Lachen brachte.
Es war geradezu magisch zu sehen, wie der Mann, den sie liebte, mit ihrem Sohn umging, der ihr alles bedeutete. Auch die heimlichen Blicke, die Christian ihr zuwarf, hatten etwas Magisches; sie zeigten ihr, wie sehr dieser wundervolle Mann, der in ihrer beider Leben getreten war, sie liebte.
Die Magie ihres ersten gemeinsamen Weihnachtsfestes würde sich zwar wahrscheinlich nicht wiederholen lassen, dafür würden sie von nun an hoffentlich jedes Jahr Weihnachten zusammen verbringen.
Nach dem Essen scheuchte Vanessa die Männer ins Wohnzimmer. Sie sollten Schach spielen, während sie das Chaos in der Küche beseitigte.
Die ganze Zeit über hörte sie sie schreien, stöhnen und lachen, und sie fühlte sich so geborgen wie seit dem Tod ihres Großvaters nicht mehr. Als sie nach getaner Arbeit ins Wohnzimmer kam, sah sie die beiden bäuchlings vor dem Kamin liegen, das Schachbrett zwischen sich.
Vanessa machte es sich auf dem Sofa bequem und schaute ihnen zu. Das war es, was Johnny gefehlt hatte, die Aufmerksamkeit und Fürsorge eines Mannes. Und genau aus diesem Grund hatte Vanessa vor zwei Jahren beschlossen, Jim zu verlassen.
Hätte es Johnny nicht gegeben, hätte sie vielleicht versucht, an ihrer Ehe festzuhalten. Ihr Großvater war der Überzeugung gewesen, dass das Ehegelübde ein Leben lang galt, und diese Überzeugung hatte er an sie weitergegeben. Aber es gab Johnny, und Jims Verhalten und Einfluss auf Johnny machten Vanessa große Sorgen. Und als Jims Stimmungsschwankungen immer beunruhigendere Ausmaße annahmen, wusste sie, dass sie ihn um Johnnys willen verlassen musste.
Sie schüttelte leicht den Kopf, wie um die Gedanken an Jim zu verscheuchen. Heute war nicht die Zeit für düstere Grübeleien.
»Schachmatt!«, rief Johnny triumphierend.
Christian setzte sich aufrecht hin und machte einen verblüfften Eindruck. »Ich kann nicht glauben, dass dieser junge Mann hier mich besiegt hat.«
»Sein Onkel Brian spielt öfter mit ihm«, erklärte Vanessa.
Christian rappelte sich auf und versetzte Johnny eine freundschaftliche Kopfnuss. »Bevor ich mich noch mal auf eine Partie mit dir einlasse, muss ich wohl ein bisschen üben.« Er setzte sich zu Vanessa aufs Sofa.
»Soll ich jetzt das Buch holen, Mom?«, fragte Johnny. »Er liest am Weihnachtsabend immer das Gedicht ›’twas the Night
Weitere Kostenlose Bücher