Dunkelheit soll dich umfangen: Thriller (German Edition)
etwas anhaben. Sie würden das alles gemeinsam durchstehen und für immer zusammenbleiben.
Er starrte das Haus an, in dem sie lebte. Johnny war vermutlich in seinem Zimmer mit der blauen Tapete und den Stoffbären, die er bis zu seinem neunten Lebensjahr gesammelt hatte, und schlief den Schlaf der Unschuldigen, der Begabten. Vielleicht träumte er von Farben. Coelinblau. Umbra. Kadmiumrot. Ockergelb. Zinnoberrot.
Malerfarben. Vielleicht sah der Junge im Traum die Farben seines Talents, und dieses Talent galt es zu bewahren, koste es, was es wolle. Wenn man ihr Zeit ließ, würde sie Johnnys Begabung zerstören, genauso wie sie ihn zerstört hatte. Aber das würde er nicht zulassen.
Enttäuschung stieg in ihm auf. Er hatte sich von dem Anruf beim Jugendamt mehr erhofft, war davon ausgegangen, dass man ihr das Sorgerecht für den Jungen entziehen würde. Aber das Miststück hatte den Schlag abgewehrt. Genauso wie ihr Liebhaber den tödlichen Angriff seines Baseballschlägers überlebt hatte.
Gott, wie gern hätte er ihr Gesicht gesehen, als sie das zerschnittene Kleid auf dem Bett entdeckte. Ob sie geschrien hatte? Er schloss die Augen und versuchte, sich vorzustellen, wie sie einen Schrei ausstieß.
Nur einmal hatte er sie bisher schreien gehört. Das war bei einer Halloweenparty, als jemand aus einem Schrank gesprungen war, als Zombie verkleidet. Er grub in seiner Erinnerung nach dem Klang ihres Schreis, diesem köstlichen Ausdruck reinster Panik.
Ob sie beim Anblick des Kleides einen spitzen Schrei ausgestoßen hatte oder eher einen wimmernden Klagelaut? Der Gedanke daran bereitete ihm Lust, und er spürte, wie er hart wurde.
Er rieb mit dem Handrücken seine Erektion und dachte dabei an sie, daran, wie er ihr mit dem Baseballschläger auf den Kopf und ins Gesicht schlagen würde, bis sie aufhörte zu atmen.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er den erleuchteten Kranz an der Tür und die überdimensionalen rot-weiß gestreiften Plastikzuckerstangen, die die Auffahrt säumten.
Sie liebte Weihnachten und putzte das Haus jedes Mal wie ein buntverpacktes Geschenk heraus. Der Baum stand immer in einer Ecke des Wohnzimmers, voll mit funkelndem Weihnachtsschmuck, blinkenden Lichtern und Rauschgoldgirlanden. Und am Kamin hingen Strümpfe. Einer für Johnny und einer für sie. Es müssten aber drei sein. Verdammt noch mal, sie waren eine dreiköpfige Familie gewesen.
Er würde ihr das Weihnachtsfest schenken. Und vor allem würde er Johnny ein Weihnachtsfest mit seiner Mutter schenken. Er wünschte ihnen einen wundervollen Feiertag. Es würde ihr letzter gemeinsamer sein.
22
Das Haus duftete nicht nur nach dem Truthahn, der den ganzen Tag im Ofen geschmort hatte, sondern auch nach frisch gebackenem Kürbisbrot und Hefebrötchen. Vanessa überprüfte ein letztes Mal, ob auf dem gedeckten Tisch auch wirklich nichts fehlte.
Christian würde ungefähr in einer Viertelstunde eintreffen, und sie wusste nicht, wer von ihnen beiden aufgeregter war, Johnny oder sie. »Meinst du, Christian kann Schach spielen?«, fragte Johnny aus dem Wohnzimmer.
»Ich weiß nicht, vielleicht«, antwortete sie. Sie sah nach den Brötchen im Backofen, dann stellte sie sich in die Tür und beobachtete ihren Sohn, der vorm Weihnachtsbaum saß und die darunter ausgebreiteten Geschenke anstarrte.
»Nicht schnüffeln«, sagte sie mit gespielter Entrüstung.
Er schaute lächelnd zu ihr herüber. »Mache ich doch gar nicht. Ich gucke nur.« Dann stand er vom Boden auf und setzte sich aufs Sofa. »Weißt du was, Mom?« Er blickte sie ernst an.
»Was denn, mein Schatz?«
»Ich mag Christian.«
Sie lächelte. »Ich mag ihn auch.«
Johnny erwiderte ihr Lächeln nicht. Er sah aus, als würde er sich wegen irgendetwas Sorgen machen. »Kann ich dir ein Geheimnis verraten?«
»Aber ja.« Vanessa setzte sich neben ihren Sohn. »Was ist los, Johnny?«
Seine dunklen Augen suchten ihren Blick. »Ich hab Christian lieber als Dad. Ist das schlimm?«
»Nein, das ist nicht schlimm.« Vanessa legte einen Arm um seine Schultern und zog Johnny an sich.
»Wenn ich bei Grandma bin, reden Onkel Brian, Onkel Garrett, Onkel Steve und die anderen immer über die guten Sachen, die Dad gemacht hat, seine Bilder und irgendwelche verrückten Geschichten, als er ein Kind war. Aber ich erinnere mich fast nur an schlechte Sachen. Wie er schimpft und schreit, und wie er mir sagt, dass ich verschwinden soll. Er war gar nicht wie ein richtiger Vater.«
»Ich
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