Dunkelkammer: Frank Wallerts erster Fall (German Edition)
diesem Zusammenhang ist sie – befürchte ich – an jemanden geraten, der sie ausnutzt, vielleicht sogar missbraucht!“
„Mein Gott!“, entfuhr es Herrn Wibert und er schlug die Hände vors Gesicht.
Ina schwieg. Es dauerte eine Weile, bis Herr Wibert die Hände wieder herunternahm. Ina legte ihm eine Hand auf den Unterarm. In diesem Augenblick kam Frau Wibert zurück, allerdings ohne Steffie. Ihr Mann blickte ihr fragend entgegen.
„Sie wäscht sich noch schnell.“, gab sie zu verstehen und setzte sich wieder hin.
Herr Wibert griff jetzt wieder zu seinem Brötchen, biss noch einmal ab, legte es dann kopfschüttelnd zurück und schob den Frühstücksteller von sich. Frau Wibert schenkte Kaffee nach. In diesem Augenblick kam Steffie in die Küche. Ina sah ein hübsches Mädchen den Raum betreten, das ihr – noch etwas verschlafen wirkend – freundlich zur Begrüßung zunickte, seiner Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gab, den Vater aber gänzlich zu ignorieren schien. Steffie war für ihre dreizehn Jahre wirklich weit entwickelt. Sie war etwa einssechzig groß. Einzig ihr Gesicht, das von dunkelblonden, halblangen und leicht gelockten Haaren umrahmt wurde, wies noch Elemente von Kindlichkeit auf.
Ihr Körper könnte auch der einer Sechzehnjährigen sein
, dachte Ina. Steffie ging am Frühstückstisch vorbei und nahm sich ein Glas aus dem Küchenschrank, das sie am Tisch, nachdem sie sich auf den einzigen noch freien Stuhl gesetzt hatte, mit Orangensaft füllte.
Herr Wibert hatte sich wieder gefangen und sprach seine Tochter an.
„Steffie, wir würden gerne wissen, wo du gestern warst.“
Seine Stimme klang bemüht freundlich, gab aber nichts von dem Ärger und der Verzweiflung preis, die Ina vorher – in Steffies Abwesenheit – gemeint hatte, bei Herrn Wibert zu spüren.
„Das habe ich dir doch gestern schon gesagt!“, erwiderte Steffie, und Ina lächelte in sich hinein, denn auch Steffies Stimme war die eines Kindes – eines etwas zickigen Kindes.
„Du hast mir gesagt, dir sei nicht gut gewesen. Ich habe auch nicht gefragt, warum du nicht in der Schule warst, sondern
wo
du gewesen bist!“
Ina hielt sich bewusst zurück, obwohl sie feststellte, dass Steffie immer wieder unsicher zu ihr hin sah. Steffie trank von ihrem Saft und schien Zeit gewinnen zu wollen. Irgendwie spürte sie, dass etwas in der Luft lag.
„Ich war bei Weingerbers.“, sagte sie schließlich und schwenkte dabei das Glas.
Herr Wibert blickte Ina an.
„Bei Weingerbers?“
„Ich war bei Robert.“
Steffie schaute auf das leere Glas in ihrer Hand.
„Gut“, mischte sich jetzt Frau Wibert ein, die die ganze Zeit gespannt gelauscht hatte. „Wer ist Robert?“
„Das ist der Vater von Alex.“, entgegnete Steffie, wobei sie ihre Mutter verwundert ansah.
„Nein! Alex’ Vater heißt nicht Robert, sondern Andreas.“
Sie wartete nicht ab, was ihre Tochter erwidern würde.
„Andreas Weingerber ist auch kein Fotograf, sondern Architekt! Bei wem bist du also gewesen?“
Jetzt änderte sich Steffies Gesichtsausdruck gewaltig. Eine Weile schwankte sie wohl zwischen Trotz und Entsetzen. Schließlich sagte sie aber mit weinerlicher Stimme: „Er hat aber gesagt, dass er der Vater von Alex ist …“.
Etwa anderthalb Stunden später, gegen halb zwölf, verließ Ina eine Familie, die an diesem Samstagvormittag einen schweren Schlag erlitten hatte. Auch ihr war der Schreck gewaltig in die Glieder gefahren, denn ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt.
***
Ina hatte vom Wagen aus versucht, Frank über Handy in seinem Büro zu erreichen. Sie erwischte aber nur Bernd, der ihr mitteilte, dass Frank nach Hause gefahren war. Sie schloss die Tür auf, schlug sie hinter sich zu und stürmte in die Küche, wo sie Frank vermutete und auch antraf. Er blickte von der Zeitung auf, in deren Lektüre er vertieft gewesen war. Ina warf ihre Jacke über einen Stuhl und setzte sich.
„Ich habe alle drei erwischt! Steffie hat sich tatsächlich mit einem Mann getroffen, der mit ihr Fotos und Videos gemacht und sich für Herrn Weingerber ausgegeben hat.“
„Was?“, reagierte Frank entsetzt. „Was für Fotos?“
„Anfangs waren sie wohl harmlos. Dann hat er aber Bilder und Videos von ihr im Schlafzimmer gemacht, als sie unbekleidet war. Gestern ist es auch zum Missbrauch gekommen.“
Frank starrte Ina mit offenem Mund an. Was ging nur in den Köpfen von solchen Kindern vor? Ina sprach weiter, als könnte sie
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