Dunkelmond
Elben die Kinder des Dunklen Mondes, bis diese sich schließlich zur Wehr setzten.«
Von den Kriegen der Elben und Menschen
Vierte Rolle der Schriften des Klosters der Weisen Zwölf
R onan führte sie nach Norden.
Sanara konnte sich kaum an die Karten erinnern, die ihr Vater ihr als Kind gezeigt hatte, um sie zu lehren, aus welchen Gebirgen, Steppen und Wäldern die Welt bestand. Sie versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, was im Norden des Loranon lag: der Wald von Dasthuku, darüber die Eisebenen von Kantis, die von den Wäldern durch das Hochgebirge von Zendar getrennt waren.
Ronan verriet ihr nicht, wohin die Reise genau gehen sollte. Er hatte etwas vom Berg Chuma Rei erzählt, der in der Nähe ihres Ziels liegen sollte. Doch Sanara hatte keine Vorstellung, wo genau er sein konnte und durch welche Landschaften der Weg führen würde, der sie dorthin bringen sollte.
Schon jetzt waren sie von dem Weg, den das Heer nach Südwesten genommen hatte, abgewichen und gingen nach Nordwesten, um möglichst bald den Lithon zu überqueren. Bereits einen Tag, nachdem Ronan ihr die Flucht ermöglicht hatte, waren sie von den Bergen, von denen nur wenige hoch genug waren, um eine ewige Schneekappe zu tragen, herabgestiegen.
Die kurze Zeitspanne hatte sie erstaunt, denn das Heer war über einen Zehntag durch das Gebirge gezogen. Doch Ronan hatte erklärt, dass die Truppen der Straße gefolgt seien, die sich durch die nördlichen Gebirgsausläufer zog, und überhaupt langsamer vorankamen als sie, die sie nur zu zweit waren. Dabei hielten sie sich abseits der Straße, die sich durch die Täler und Pässe wand, um von ihrer Spur abzulenken. Es war ein anstrengender Weg, doch Sanara sah die Notwendigkeit dafür ein. Denn auch wenn Ronan oft die Flöte an die Lippen setzte, es erschöpfte ihn, ständig seine Magie einzusetzen, um sie und sich selbst vor der Entdeckung durch elbische Soldaten zu schützen, die ihnen sicher schon auf den Fersen waren.
Es war keine angenehme Reise. Es regnete ununterbrochen, und nichts wies darauf hin, dass sich das Wetter bessern würde. Im Gegenteil, dort, wo sie die Baumgrenze überschritten, um der Straße nicht folgen zu müssen, war zu sehen, dass die dünne Erdschicht, die auf den Felsen lag, immer wieder in die Täler gerutscht war. Einige Weiler waren völlig unter Schlamm, entwurzelten Bäumen und Felsbrocken versunken, und es war mühselig, die Trümmerfelder zu umklettern. Wieder kam Sanara der Gedanke, der ihr während ihrer Zeit im Heerzug gekommen war: Hier tobte das Wetter aus, was es der Ebene in diesem heißen Frühjahr versagt hatte.
Es herrschte ein Zuviel an Nässe. Da sie nachts kein Feuer anzündeten, um etwaige Verfolger nicht auf sich aufmerksam zu machen, glaubte Sanara, sie habe seit der Flucht vor drei Tagen keinen trockenen Faden mehr am Leib gehabt. Selbst ihre Haare, die sie noch während des Aufbruchs geflochten und am Hinterkopf verknotet hatte, schienen nicht mehr trocknen zu können.
Doch sie beklagte sich nicht. Es hätte sie, eine Feuermagierin,geradezu quälen müssen, ständig dem Regen ausgesetzt zu sein, nicht trocken werden zu können, ständig von Wald umgeben, der dem Feuer in ihr mit Abneigung begegnete. Sowohl Ronan als auch sie stolperten bei ihrer Wanderung durch das Unterholz wieder und wieder über Wurzeln, die Wimpernschläge zuvor noch nicht da gewesen waren. Äste schienen ihnen den Weg versperren zu wollen.
Und doch existierte etwas in ihr, das den Regen und den feuchten, duftenden Nebel, der immer wieder aus dem Unterholz und der durchtränkten Erde aufstieg, das Leben, das allenthalben zu spüren war, genoss.
Sie hatte nie im Wald gelebt, selbst am Nordufer des Saphirmeers, wo sie aufgewachsen war, gab es kaum Wälder, höchstens lichte Haine mit Bäumen, die ein Mensch auch ohne elbische Stärke erklettern konnte. Nicht so gewaltige Stämme, wie die Elben sie kannten und liebten und von denen der Vater erzählt hatte, dass sie so hoch seien, dass die Norad-Elben ganze Städte in ihren Baumkronen gebaut hätten. Bis heute erschien es Sanara seltsam, dass es ein Volk gab, das in einem Baum leben konnte, einem Geschöpf also, das selbst lebte und das sich doch so viel mehr von einem selbst unterschied als ein Tier.
Seitdem Ronan bei ihr in der Festung gewesen war und von Freiheit gesprochen hatte, hatte Sanara Angst davor gehabt, allein durch einen der Alten Wälder dieser Welt zu gehen. Doch nun spürte sie in sich heimliche Freude
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