Dunkelmond
unwillkürlich die Decke fester um die Schultern zog, ergriff ihn ein weiterer Schauder. Die Luft war nicht von der feuchten Frische des Morgens erfüllt. Es war eine andere Kälte.
Auf einmal war er sicher, dass es nicht die Karawane war, die sich näherte.
Sinan wand sich noch einmal den Umhang, der ihm auch alsDecke diente, um die Schultern, kontrollierte, ob das daikon griffbereit neben dem Sickenhammer im Gürtel steckte, und erhob sich. Leise ging er vom Feuer und der Geschäftigkeit des Platzes fort, auf dem alles für das Eintreffen der Karawane bereit gemacht wurde.
Die Keosot-Hirten, deren Ziegen draußen an den Rändern der Oase weideten und in der Nacht auch als Wachen dienten, hatten gesagt, dass der Handelszug von Westen her erwartet wurde. Das war nicht ungewöhnlich; alle Reisenden, die von Sirakand nach Dabazar, Mundess oder Undori unterwegs waren, kamen hier vorbei, auch die, die nach Farokant gingen. Lieber machten die Reisenden den Umweg über die Oasen am Rand der Savanne, als wochenlang durch die Wüste zu ziehen, um erst dann mit kleiner gewordenen Wasservorräten den Salzsee zu überqueren oder zu umgehen.
Doch als er mit Hilfe einer grob gezimmerten Leiter auf die nächstgelegene Lehmhütte kletterte, war von dort aus niemand zu sehen. Die hellen Strahlen der Weißen Sonne kamen flach über die Landschaft, noch waren die Schatten lang. Im Westen der Oase, wo die Hirten die Keosot-Ziegen und manchmal auch die Unguli hüteten, die sich dort am Wasser der Oase und dem trockenen Dornengras gütlich taten, war es ebenfalls ruhig. Sinan hatte gesehen, wie die Kinder und die Halbwüchsigen in diese Richtung gerannt waren, aufgeregt und erwartungsvoll. Jeder wollte der Erste sein, der den Handelszug entdeckte und ankündigte.
Immer noch war es nicht wärmer geworden.
Wieder hatte Sinan das Gefühl, eine Spinne der Angst krieche seinen Rücken hinauf. Sein Atem beschleunigte sich, als ein trockener, aber kalter Luftzug in sein Gesicht blies. Als der Duft von zerriebenen Mayalablättern in seine Nase stieg, setzte sein Herz für einen Takt aus.
Er hastete die Leiter hinab, und zog mit einer raschen Bewegung sein daikon aus dem Gürtel. Doch kaum hatte er den Bodenberührt, wurde er schon herumgerissen. Unwillkürlich hob er die Klinge zur Abwehr.
Das Schwert prallte so heftig auf Metall, dass Sinan aufstöhnte und in die Knie ging. Er konnte den Druck nur mit Mühe abwehren, und so gab er nach, ließ sich fallen und wich zur Seite aus. Erst im letzten Moment und mehr aus Instinkt bog er den Kopf noch ein zusätzliches Stück zur Seite. Einen Wimpernschlag später hieb eine Klinge in den trockenen Boden neben ihn. Er sah auf.
Über ihm zog ein Elb, dessen malayaholzfarbenes Haar heller zu sein schien als seine Haut, die Waffe aus dem Boden.
Der Vertraute des Heermeisters.
Einen Augenblick später wurde Gomaran geradezu brutal zur Seite gestoßen. Ein kalter, trockener Wind, der nach Yondarharz duftete, wehte Sinan so heftig ins Gesicht, dass er unwillkürlich die Augen schloss. Dann wurde er an der Kehle gepackt, hochgerissen und mit Wucht gegen die Mauer des Hauses geschleudert. Fast wäre er in die Knie gegangen, doch Telarion Norandar packte ihn an der Schulter und zerrte ihn wieder hoch.
Einen Augenblick später lag der untere Schildarm des Fürsten fest um seinen Hals und hielt ihn gegen die Mauer gedrückt. Jede Bewegung ließ Sinans Schultern schmerzen. Und doch wandte er mit Mühe den Kopf und sah zu den Dorfbewohnern hinüber. Die Soldaten des Heermeisters hatten sie auf dem Platz zusammengetrieben. Einer löschte mit seiner Wasserkraft bereits das Feuer. Als eine der Frauen hastig vortreten wollte, um die Ziege, die dort briet ,und die Itayafrüchte zu retten, die sie in die Glut geschoben hatte, sprang ein Elb vor und hob sein Schwert.
»Nein!«
Sinan und der Älteste schrien es gleichzeitig. Das daikon des Mannes verlangsamte sich, doch er konnte es nicht mehr bremsen. Der Hieb traf die Frau am Arm. Jammernd hielt sie sich die blutende Wunde.
Fragend sah der Soldat seinen Herrn an, der immer noch Sinanim Würgegriff hielt. Mit der freien Hand gab Telarion Norandar ein knappes Zeichen.
»Lasst diese Leute in Frieden, solange sie sich nicht wehren«, rief er dem Mann zu. Dann wandte er sich wieder an Sinan. »Selbst das schlimmste Raubtier beschützt die Seinen«, sagte er. In seiner ruhigen Stimme klang verhaltene Wut. »Dieser Instinkt ist in dir stärker als bei jedem
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