Dunkelmond
erlernten Sprüche und Gebete in seine Arbeit.
»Was machst du da?«
Die Stimme riss Sinan aus den Gedanken. Es war nicht der Heerführer. Doch neben ihm stand niemand.
Die beiden Sonnen brannten auf ihn herab und wie immer machten die Elben einen großen Bogen um ihn herum.
Leises Lachen erklang. Es war nicht bösartig, eher freundlich und belustigt, als sei dem Sprecher ein Scherz gelungen. »Ich bin hier oben.«
Sinan sah auf den Felsbrocken, der neben ihm stand. Ein Mensch saß darauf, vielleicht ein Erdmagier, urteilte man nach den dicken Filzlocken, die ihm, obwohl er sie am Hinterkopf zusammengebunden hatte, lang den Rücken hinunterfielen. Sie waren so rot wie die Augen des Sprechers braun waren.
Sinan warf ihm noch einen Blick zu, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
»Gibt es niemanden sonst, der deine Kunst zu schätzen weiß, Ronan?«, brummte er. »Ich bin sicher, dass Hedruf gerne ein paar der Märchen aus alter Zeit hören würde.«
Wieder lachte der Musikant. »O ja, Hedruf kann nicht genug von den Liedern bekommen, die über die vier Kriege zwischen den Kindern der Zwillingsmonde gedichtet wurden. Doch was magst du? Ich habe nur selten jemanden getroffen, der Liedern und Geschichten so wenig zugetan ist wie du.«
Sinan blickte nicht auf, sondern trieb den Spaten tief in die lockere, feuchte Erde. Er schnaubte. »Altes Gewäsch – mehr ist es nicht in meinen Augen.«
»Nun, es gibt immer wieder neue Lieder.« Ronan begann ein fröhliches Lied auf seiner halbrunden pathi zu zupfen, die auf seinem Schoß lag. »Wenn du die alten Legenden von der Rettung der Welt nicht magst, dann vielleicht das Vakaran-Lied. Es erzählt, wie der Meister die reinen Essenzen von Luft und Erde, Feuer und Wasser in ein Siegel bannte, mit dem man die Magien zu beherrschen vermag.«
Er begann leise eine Weise anzustimmen, getragen und traurig und in einer Sprache, so alt, dass Sinan sie selbst während seiner Zeit im Kloster nur selten vernommen hatte.
Er grub weiter und gab vor, nicht zuzuhören. Dennoch spürte er, dass ihm die Arbeit leichter von der Hand ging und er sich besser an die Formeln erinnerte, die dem Ofen – und damit auch dem Erz – höhere Festigkeit und Stabilität verleihen sollten.
Beinahe bedauerte er, dass Ronans Lied bald zu Ende ging.
Es wurde still, so still, dass Sinan schon glaubte, Ronan sei gegangen. Doch als er aufsah, entdeckte er Ronan noch immer auf dem Felsen im glühenden Licht der Sonnen, wie er nachdenklich zu ihm herüberstarrte. »Ist der Heermeister damit einverstanden, dass du einen Ofen, einen Herd des Feuers, in der Nähe seines und des Zeltes seines Bruders errichtest?«
Sinan wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, wozu er den Ofen brauchte, als ihm einfiel, dass außer Hedruf und Githalad niemand im Lager der Gefangenen von seiner Aufgabe wusste.
»Ich bin sicher, er gestattet es«, sagte er daher nur.
»Es ist etwas Besonderes, was du da tust«, erwiderte Ronan. »Das weiß ich. Du schmiedest nicht nur Rüstungen und Waffen um. Du erschaffst eine neue Waffe.«
»Das geht dich nichts an!«, fuhr Sinan ihn an.
Ronan blieb ruhig und begann erneut, eine getragene Melodie auf den Saiten seiner pathi zu zupfen. Sinan war es ein Rätsel, wie ein Musikant die unzähligen, kreuz und quer gespannten Saiten dieses Instruments auseinanderhalten konnte.
»Hab keine Sorge«, ergriff Ronan erneut das Wort. »Ich bin nicht dumm, ich weiß, dass wir das Feuer, das einige vor dem Siechtum gerettet hat und uns warme Mahlzeiten ermöglicht, dir und dem, was du hier tust, zu verdanken haben«, sagte er ruhig.
Er schien keine Antwort zu erwarten, denn er sprach sogleich weiter. »Sieh nur, dort ist Berennis. Und sie kommt zu uns.« Er lachte wieder leise.
Sinan fiel auf, dass der Musikant wohl alles irgendwie amüsant fand. Doch der Gedanke, dass Berennis in der Nähe war, lenkte ihn sogleich ab.
Sein Lächeln verschwand, als er sah, dass sie aus der Richtung gekommen war, in der das ethandin des Königs stand. Er begriff, dass der König der Elb war, der ihr täglich die Energie entzog.
Ihr Blick wurde trotzig, als sie ihm ansah, dass er es wusste.
»Ich habe es dir nicht gesagt.«
Sinan hörte mit Verwunderung und auch ein wenig Stolz die Würde, mit der sie das Offensichtliche aussprach.
Er musste wieder lächeln und streckte die Hand nach ihr aus. Sie drehte den Körper leicht fort, um der Berührung auszuweichen. Sinan ließ die Hand sinken, doch das
Weitere Kostenlose Bücher