Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
Vom Netzwerk:
an das feurige Temperament, das nur unzureichend von der Beständigkeit der Erde verdeckt wurde.
    Sinan hatte das Gebet gekannt, das die Seelen der Kinder des Akusu zu den Feuern des Mondes bringen konnte. Die Melodie, die Akusu persönlich den ersten Menschen lehrte, den er aus Lehm geformt und im Feuer gebrannt hatte.
    Nur wenige kannten dieses Lied außerhalb jenes Hauses, das auf den ersten Menschen zurückging.
    Vorsichtig, damit die aufkommende kühle Brise die Saiten seiner pathi nicht zum Klingen brachte, nahm der Musikant sein Instrument auf und schlich sich tiefer in den Wald, bis er sicher war, sich außer Hörweite des Lagers zu befinden. An einem schmalen, sandigen Uferstreifen, der freien Blick auf den See gewährte, setzte er sich nieder und zog eine Flöte aus seinem Hosenbund.
    Er verbarg sich hinter einem Baumstamm und begann zu spielen.
    Nach einer Weile hatte er das Gefühl, nicht mehr allein zu sein.
    Was hast du erfahren?
    Ronan öffnete langsam die Augen. Vor ihm leuchtete es schwach in der Dunkelheit des Unterholzes. Es war nicht zu definieren, ob die rauchigen Schwaden, die sich dort unter dem mit dunkelroten Blüten behangenen Resatbusch gebildet hatten, bläulich oder violett schimmerten.
    Er lächelte und entlockte seiner Flöte aus Süßholz, die nur vier Löcher besaß, noch weitere Töne.
    »Tarind ist sicher, dass er damals im Kloster des Westens alle Mitglieder des Hauses Amadian tötete. Doch vielleicht hat er unrecht«, sagte er und sah mit halbgeschlossenen Augen den silbrig violetten Tönen hinterher, die auf die rauchige Gestalt zuschwebten.
    Das Siegel kann gefunden werden, doch wie es Gegensätze brauchte, um die Welt zu erschaffen, wird es Gegensätze brauchen, das Siegel aufzuspüren, das Ys verbarg. Finde die Nachfahren des ersten Amadian, wenn sie leben. In seinem Haus vererbte sich die Gabe, die Jenseitigen Ebenen zu betreten, am stärksten. Wenn es einen solchen Menschen noch gibt, dann ist er der eine Teil des Ganzen, das das Siegel zu finden vermag.
    »Sind die Weisen sicher, dass es diese Gabe braucht, um das Siegel aufzuspüren?«
    Der Geist im Resatgebüsch wurde blasser. Seine Stimme klang manchmal so dicht an Ronans Ohr, als befände er sich direkt neben ihm, dann wieder so weit fort, als spreche er von den Sternen herab.
    Es sind die Weisen , hauchte der Geist. Wenn sie es nicht wissen, wer dann?
    Ronan nickte langsam. Als er die Augen wieder öffnete, war der Geist verschwunden.
    Ronans Mission hingegen hatte erst begonnen.

Kapitel 5
    »Ys sah, was Vanar geschaffen hatte, und entschied, dass Akusu das gleiche Recht zustehe wie Vanar. Und so schuf Akusu die Menschen aus Erde und brannte sie im Feuer, auf dass sie stärker wären als die Kinder seines Bruders. Ys machte allerdings zur Bedingung, dass kein Volk dem anderen überlegen sein dürfe und die Gaben unterschiedlich zu sein hätten, sodass sie sich nicht ins Gehege kämen. So sorgte sie, die Schöpferin der Harmonie, für Gerechtigkeit und veranlasste Syth, auch den Menschen eine eigene Seele zu geben, auf dass sie den Elben in nichts nachstünden.«
    Von der Schöpfung der Welt
    Erste Rolle der Schriften des Klosters der Weisen Zwölf
    M echanisch setzte Sinan einen Fuß vor den anderen.
    Er hatte vergessen, wie warm es hier in Bandothi war. Die Stadt lag etwa in der Mitte von Vyranar, in einem weiten Tal, das der Lithon im Laufe von Äonen aus den Loranonbergen gewaschen hatte, und war von allen Seiten vor kalten Winden geschützt.
    In diesem Frühjahr war es wärmer gewesen als sonst, und nun, da es auf den Sommer zuging, konnte die Hitze dem Tal nicht entweichen.
    Sinan war es egal. Er folgte Githalad und Aedan beinahe willenlos. Beide gingen vor ihm durch die Ringe der Stadt hinauf zur Festung der elbischen Herrscher, die einst als Versammlungsort für Menschen und Elben gedacht gewesen war, und sie alle folgten dem Hauptmann, der sie aus dem Sklavenpferch geholt hatte.
    Unwillkürlich zerrte Sinan an dem haarfeinen, glitzerndenBand, das er um den Hals trug, doch es war unnachgiebig und kälter als die Leere jenseits der Welt.
    Die Rufe der Bauern und Handwerker, die ihre Waren anpriesen, das Geschimpfe der Fahrer von Karren und Fuhrwerken, das Schwatzen der Marktfrauen und Waschweiber, die ihre Wäsche auf den Waschbrettern rieben – das alles wurde in Sinans Ohren zu einer dröhnenden Kakophonie.
    Der Lärm der alltäglichen Verrichtungen und das überbordende Leben der Hauptstadt hätten ihn

Weitere Kostenlose Bücher