Dunkelmond
eigentlich aus seiner Lethargie reißen müssen.
Er hatte befürchtet, dass der König darauf bestünde, die Stadt in einer Art Triumphzug zu betreten und dass dabei die gefangenen Menschen wie eine besonders wertvolle Kriegsbeute ausgestellt und mitgezerrt würden. Doch das hatten der Heermeister und Iram Landarias abgelehnt. Mit Recht hatten sie darauf verwiesen, dass ein Großteil der Bevölkerung Bandothis aus Menschen bestand, denen man keine Gelegenheit bieten durfte, die Gefangenen zu bemitleiden und diese zu Märtyrern zu machen. Die Stimmung war angeheizt genug, seit diese Feuerhexe der Bevölkerung Badothis gezeigt hatte, dass man den Elben Widerstand leisten konnte.
So ließ man die Gefangenen zunächst in einem Pferch zurück, der von dichteren Dornen umgeben war als auf der Reise. Er lag mitten in einem Wald von Dressa- und Ristarbäumen, die auf einer Flussaue in einer Schleife des Lithon wuchsen, sodass den Gefangenen eine eventuelle Flucht erschwert wurde. Auch hier waren die Gefangenen unter Githalad enger zusammengerückt, doch wie immer war Sinan, der nun, wie es der Heermeister befohlen hatte, zwei der goldenen Sklavenbänder trug, am äußeren Rand des Trosses geblieben.
Als er nun durch die Straßen und Gassen Bandothis schritt, kam jemand auf ihn und die anderen Marschierenden zu. Früher hatte Sinan die Gesellschaft anderer geschätzt. Menschen waren selten von Natur aus Einsiedler, sondern brauchten die Gesellschaft von ihresgleichen, ihre Wärme, ihre Fröhlichkeit, ihre Nähe. Und Sinan war nicht zuletzt, was das anging, ein Kind des Dunkelmonds.
Doch jetzt war ihm die Sehnsucht nach Gesellschaft so fern wie nie. Er hatte versagt, er hatte wiedergutmachen wollen, was sein Vater damals versäumte, als er Tarinds Morden einfach zugesehen hatte. Sinan hatte es besser machen und sich einsetzen wollen für die anderen. Aber seine Bemühungen hatten nur dazu geführt, dass die letzten Menschen, die ihm in den vergangenen Zehntagen etwas bedeutet hatten, gestorben waren.
Hedruf, dem er die Kunst hatte zeigen wollen, wie man Herrschaft über die Metalle erlangte, wie man sie nach Belieben formte. Und Berennis.
Und nun war auch seine Schwester gefangen. Sinan hatte keine Möglichkeit nachzuprüfen, ob es wirklich Sanara war, die von den Männern der Königin ins Verlies geworfen worden war, doch er war sich sicher. Sie war gefangen wie er. Er fragte sich oft, ob das der Grund gewesen war, dass Ys ihn in die Nähe des Königsbruders gebracht hatte – vielleicht war der Schöpfergeist der Harmonie und der Gerechtigkeit doch auf der Seite der Elben. Vielleicht hatte Ys ihn nur hergeführt, damit er sah und begriff, wie gründlich das Haus Amadian gescheitert war.
Sinan fühlte sich, als habe er auf ganzer Linie versagt. Berennis war die Letzte gewesen, die er nicht hatte preisgeben wollen, doch nun war auch sie endgültig tot. Er versuchte, die Bilder dieses Morgens zu vergessen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Es war, als seien sie in Eis eingefroren, das nicht schmelzen wollte.
Seit jenem schrecklichen Tag, an dem der König sie gegen den Felsen schleuderte, hatte sie wie leblos dagelegen – ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Nichts hatte ihr geholfen, auch Ronans Lieder und Gesänge hatten sie nicht wecken können. Nachts hatte Sinan sie in die Arme genommen und gehofft, dass ein wenig Körperwärme ihrer Seele helfen würde, wieder zu sich selbst zu finden.
Doch er hatte nicht mehr viel an Wärme zu bieten, seit der Heermeister seine Drohung wahrgemacht hatte und Sinan ein zweites Goldband anlegen ließ, das ihm nun mehr Kraft raubte, als er trotz der Hitze, die hier im Tal des Lithon herrschte, aufnehmen konnte.
Sinan wusste nicht, ob Telarion Norandar sich darüber klar war, dass er damit nicht nur Sinans Magie dämpfte, sondern auch die Leere, die die Verluste der letzten Jahre hinterlassen hatten, damit ins Unendliche steigerte.
Deine Buße beginnt jetzt, waren die Worte des Heermeisters gewesen. Ja, Telarion Norandar hatte genau gewusst, was er tat.
Nur das Gefühl, Berennis helfen zu müssen, war stark genug, um Reaktionen in ihm hervorzurufen. So hatte er trotz allem einmal versucht, wider besseres Wissen spät in der Nacht ein kleines Feuer zu entzünden. Es gab kein Holz und auch keinerlei Zunder, doch er hatte die Hand über ein klägliches Häufchen trockenes Gras gehalten, um wenigstens ein paar Flammen zu entfachen.
Doch seine Kraft war bis auf ein schwaches
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