Dunkelmond
nebelhaften Gestalt dröhnte durch das Gemach, schrillte in ihren Ohren und lief als Echo durch Sanaras Seele. Sie lächelte. Ihr Bruder hatte sie nicht im Stich gelassen. Er hatte wie immer ihren Willen gestärkt.
Die Klinge schmerzte, als sie unterhalb ihres linken Busens zwischen ihre Rippen fuhr und mit seinen scharfen Kanten aus Diamant Haut und Fleisch durchschnitt.
Doch Sanara hieß den Tod tapfer willkommen.
Es war dunkel.
Eine betäubende Stille umfing sie, ein dunkles Leuchten. Die Wunde kribbelte, fühlte sich lebendig an, schmerzte aber nicht.
Ihre Glieder waren wie taub. Die Knie gaben nach, als habe ihr Wille die Kontrolle darüber verloren, ihr Rücken glitt am Maßwerk des Fensters hinab auf den kalten Marmorboden. Ihr Arm vermochte den Sturz nicht abzufangen, knickte ab und ließ die Wange hart auf die Marmorfliesen schlagen.
Doch da war kein Schmerz.
Dann, plötzlich, sah und hörte sie wieder, als stünde sie noch selbst am Fenster und blicke auf ihren zusammengesunkenen Körper hinab, der dort lag. Eine Blutlache bildete sich unter dem Gesicht, das ihr gehörte und doch nicht ihres war – sie stand hier – und breitete sich langsam aus.
Sie sah wie durch dunklen Nebel und gelbes Feuer hindurch. In den Ohren hallte der schrille, endlose Entsetzensschrei des Geistes, und Sanara konnte nicht sagen, ob er im Diesseits oder im Jenseits erklang.
War sie tot? Ihr Körper lag leblos auf dem Boden, blutete aus einer Wunde, und sie stand hier und sah auf sich hinab.
Es prickelte lebendig an der Stelle, wo der Dolch in ihrer Brust steckte. Sie musterte sich genau. Ihre Gestalt stand als lohgelbe Flamme mit schwarzbraunen Wirbeln aufrecht über dem leblosen Körper. Sanara hatte das Gefühl, nun, da der Leib leblos war, sei ihre Magie stärker denn je. Zum ersten Mal seit Tagen wurde ihr warm. Fast zu warm.
Die beiden Wachen, die nun hereinstürmten, sahen ihr Seelenbild nicht. Doch der Schrei des Gespenstes war nicht nur für Sanara hörbar gewesen.
Sie redeten durcheinander, fragten, wer geschrien hatte, was passiert sei, beugten sich entsetzt über sie, riefen nach ihr, riefen um Hilfe. Doch sie wagten nicht, sie anzufassen, ihren Körper zu berühren. Vielleicht spürten sie, dass die Flamme ihrer Seele darüber wachte.
Die Wachposten berieten hastig, was zu tun sei, doch Sanara achtete nicht auf das, was sie sagten. Schließlich eilte einer davon, während der andere furchtsam in der Tür stehen blieb und auf sie herabstarrte.
Sie hockte sich neben den Körper, der reglos dalag und unter dem die Blutlache immer größer wurde. Sie wusste, dass sie nun frei war, um zu gehen. Es wäre der Beweis gewesen, den ihr Bruder gefordert hatte. In seinen und in den Augen ihres Volkes wäre ihr Name reingewaschen von Verrat.
Aber der Körper vor ihr lebte noch. Sie legte eine farangelb leuchtende Hand auf die Schulter, deren Blusenärmel zerrissen war, so als könne sie den Leib – sich – damit stärken. Sie fragte sich, warum sie das tat. Dieser – ihr – Körper starb. Das war es, was sie gewollt hatte: frei sein. Frei vom Makel des Verrats, frei davon, in den Dienst dieses verhassten Elben gezwungen zu werden, der ihr Volk, ihr Haus, ihren Vater auf dem Gewissen hatte.
Nun musste sie nur noch gehen. Es war leicht. In der Ferne waren die Jenseitigen Ebenen schon zu sehen, und sie würde nicht einmal das endlose, wortlose Lied singen müssen, das sie als kleines Mädchen unter großen Mühen erlernt hatte.
Doch sie blieb, als würde etwas an ihrem Körper sie festhalten. Sie konnte ihre Schulter nicht loslassen, aufstehen und fortgehen. Die Wunde in der Brust prickelte wie pure Energie.
Eine Weile saß sie so neben dem leblosen Körper, unter dem die Blutlache dunkler wurde und nur noch langsam anwuchs. Die Flamme – sie selbst – brannte warm und gleichmäßig.
Und sie ging nicht.
Dann wurde die Tür des Gemachs aufgestoßen.
Sanara – die schwarzbraun gemusterte Flamme – flackerte auf in dem kalten Windstoß, der auf einmal durch das Gemach fegte, und wäre fast erloschen. Die Wärme, die sie vor einem Herzschlag noch eingehüllt hatte, wurde von der eisigen Böe davongetragen und ließ sie bis ins Mark hinein schaudern.
»Geht!« rief eine herrische Stimme. Ein Duft, wie von verbranntem Harz des Yondarbaums, breitete sich aus. Die Flamme – Sanara – fuhr zurück. Es war, als werde die letzte Kraft aus dem bereits kalt daliegenden Körper gefegt, und einen Augenblick
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