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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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dem Rücksitz besonders entzückt zu sein. Sie waren wohl nur zu alt.
    Oder bloß eifersüchtig.
    Kerstin Holm war nicht ganz überzeugt davon, dass sie wirklich meinte, was sie dachte. Als sie merkte, dass sich ihre Kehle mit saurem Mageninhalt füllte, war sie eher überzeugt, ganz einfach zu lügen.
    Sich selbst zu belügen.
    Und das wäre dann nicht das erste Mal.
    »Geht's ein bisschen ruhiger?«, fragte Viggo Norlander irritiert.
    »Sollten wir nicht besser Unterstützung anfordern?«, fragte Arto Söderstedt.
    »Es ist eine Ordensgesellschaft«, sagte Äkesson. »Kein Gangsterkollektiv.«
    »Wir sind vier bewaffnete und routinierte Polizeibeamte«, sagte Kerstin Holm, auch jetzt nicht hundertprozentig überzeugt davon, dass sie hundertprozentig ehrlich war. »Und wir hatten nicht die Zeit, Kollegen zusammenzutrommeln, die mit der Sache genügend vertraut sind. Das hätte nur Sirenengeheul und Dummheiten gegeben.«
    »Sie haben Paul Hjelm und Emily Flodberg«, beharrte Arto Söderstedt. »Können wir sie wirklich allein befreien? Wo sind Jorge und Jon zum Beispiel?«
    »In ihrem verschwitzten Computerraum«, sagte Kerstin Holm. »Ich konnte sie nicht erreichen.«
    Der operative Chef der A-Gruppe heißt doch nicht etwa Bengt Äkesson?, dachte Arto Söderstedt sauer.
    Aber er sagte nichts mehr.
    Stattdessen faltete er alle Karten des Industriegebiets von Segeltorp auseinander, die er hatte auftreiben können. Und das waren ziemlich viele.
    Das Industriegebiet war bedeutend größer, als er sich vorgestellt hatte.
    Als der Wagen bei Midsommarkransen auf die E4 einbog, war es fünf vor acht.
    Kerstin Holm wählte zum fünften Mal die Nummer von Jorge Chavez.
    Chavez hörte das Klingeln. Und er sah Jon Andersons Blick von der Seite. Aber er tat nichts. Außer den beiden Autos in genau passendem Abstand zu folgen. Es war Präzisionsarbeit. Da hatte man keine Zeit, Anrufe anzunehmen.
    »Es ist Kerstin«, sagte Anderson schließlich. »Müssen wir nicht Bescheid sagen, was wir tun?«
    »Zufällig kein Netz hier«, sagte Chavez.
    Und er war nicht ganz sicher, ob er sich selbst verstand.
    Das Einzige, dessen er im Augenblick wirklich sicher war, war der Wunsch, Daniel Wiklund zu fassen. Und zwar so, dass er nie wieder freikam.
    Das Bild von Sara war jetzt sehr deutlich. Alles, was zwischen sie geraten war, all die Abgewandtheit, war jetzt weit entfernt. Er sehnte sich reiner denn je nach ihr.
    Er war glücklich, dass sie nicht hier war. Dass sie verschont blieb.
    Da fuhr der metallicblau e Saab auf die Abfahrt nach Bre däng. Dicht gefolgt von einem schmutzigweißen Transporter.
    »Fahren die zurück?«, sagte Anderson.
    Und hörte Chavez nicht eine gewisse Enttäuschung in seiner Stimme? Die Enttäuschung, die er selbst spürte?
    Aber es ging nicht nach Sätra. Die beiden Autos fuhren in die andere Richtung, auf die andere Seite der E4.
    »Segeltorp?«, sagte Jon Anderson. »Ins Industriegebiet?«
    »Scheint tatsächlich so zu sein«, sagte Jorge Chavez. »Da heißt es, den richtigen Abstand zu halten.«
    Es war acht Uhr am Abend, und es herrschte nicht die geringste Andeutung von Dämmerung. Obwohl es Abend wurde, stand die Sonne hoch.
    Es war noch viel Zeit übrig von diesem milden Junitag.
    »Hier geht's um Präzision«, sagte Chavez und gab vorsichtig Gas.
    Leise ertönte eine suggestive, rhythmisch pumpende Streichmusik aus den Wänden des Lagerraums. Paul Hjelm saß gefesselt neben dem großen Mann und wusste, dass ihm diese Musik in jeder anderen Situation gefallen hätte. Sie erinnerte irgendwie an Michael Nymans Musik zu den Filmen von Peter Greenaway, allerdings rhythmischer. Und ungeheuer suggestiv.
    Leider konnte er sie in diesem Moment nicht wirklich genießen. Aber er blieb durchaus nicht unberührt von dem Schauspiel, das um ihn her inszeniert wurde.
    Die verschmolzenen Skulpturen waren an den Wänden aufgestellt, der Lichterkreis war gebildet. Die alltäglich gekleideten Menschen waren durch solche in dem gleichen dünnen Betttuchstoff ersetzt worden, der weiterhin den Gegenstand an der jenseitigen Tangente des Lichterkreises verdeckte. Und diese Menschen, die eigentlich dieselben
    Menschen waren, nahmen jetzt auf den Stühlen ringsherum Platz.
    In dem flackernden Kerzenlicht versuchte Hjelm, die linke Hand des großen Mannes zu erkennen. Der kleine Finger war mit großer Präzision abgetrennt worden. Es war, als hätte es ihn nie gegeben. Als ob der Mann mit einem kleinen Finger weniger geboren

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