Dunkle Beruehrung
und einem Rucksack mit zehntausend Dollar in bar, Kleidung, einem Wegwerfhandy und seinem neuen Ausweis. Der Geländewagen sprang sofort an, doch die Handybatterie war leer.
»Mist.« Er hatte vergessen, ein Ladegerät einzupacken, und würde ein neues Handy kaufen müssen, um Rowan anzurufen und ihr und Matthias mitzuteilen, dass er aufgeflogen war. Damit allerdings würde er noch mindestens vier, fünf Stunden warten, um erst mal Abstand zwischen sich und GenHance zu bringen und das zu besorgen, was er noch brauchte, doch das ließ sich nicht ändern.
Er legte den ersten Gang ein und fuhr los.
Jessa verbrachte den Rest des Tages in der Bibliothek und übertrug Textpassagen ins Englische, die sich auf Matthias’ vermeintliche Vampire bezogen. Die Bücher interessierten sie nicht länger, doch diese Aufgabe erlaubte ihr, sich zu beruhigen und wieder klarer zu denken. Sie war ganz und gar aus ihrem Leben gerissen, und ihre Isolation hier hatte sie dazu gebracht, widerstrebend Sympathie für Matthias und Rowan zu empfinden und fast zu vergessen, dass die zwei sie gefangen hielten.
Das musste an den Träumen liegen. Etwas daran berührte sie und ließ sie einem Mann trauen, der sie entführt und ihr die Freiheit genommen hatte.
Ich will dich küssen
.
Was noch wollte er von ihr? Was noch würde er nehmen?
Als sie mit dem Übersetzen fertig war, ließ sie das Notizbuch neben den Büchern liegen, kehrte in ihr Zimmer zurück und ließ sich nieder. Sie vergegenwärtigte sich alles, was sie in den Tunneln und Räumen gesehen hatte. Es war nahezu unmöglich, ein Messer aus der Küche zu stehlen, denn Rowan bemerkte selbst die leiseste Unstimmigkeit sofort. Und Jessa hatte nie Werkzeug herumliegen sehen, mit dem sie womöglich die Ziegel lösen könnte. Einige Dolche in den Vitrinen sahen zwar robust genug dafür aus, aber die Glasschränke waren stets verschlossen.
Die Stunde des Abendessens kam und ging, doch Jessa machte sich nicht die Mühe, sich zu Rowan und Matthias in die Küche zu gesellen, denn sie schaffte es einfach nicht mehr, den beiden etwas vorzuheucheln.
Sie versuchte zu schlafen, doch das ließen die Gedanken nicht zu. Sie nahm eines der Taschenbücher, die Matthias ihr gegeben hatte, doch so glänzend der Krimi von Val McDermid auch geschrieben war: Die Worte tanzten ihr vor den Augen. Schließlich gab sie den Versuch auf, sich zu beschäftigen, und ging in die Küche, um sich etwas zu naschen zu holen.
Als sie Matthias am Tresen arbeiten sah, hätte sie fast kehrtgemacht und wäre wieder in ihr Zimmer gegangen.
»Sie sind nicht zum Abendessen gekommen«, sagte er, ohne sie anzuschauen.
»Hab ich ganz verschwitzt.« Sie roch etwas Süßes. »Aber ich bin sowieso nicht besonders hungrig.« Dabei knurrte ihr gerade in diesem Moment der Magen.
»Setzen Sie sich«, meinte er und nahm einige Erdbeeren aus der Schüssel, die Rowan immer auf dem Tisch stehen hatte. »Ich teile mein Obst mit Ihnen.«
Jessa sah zu, wie Matthias die Erdbeeren in eine Kristallschüssel umfüllte und anderes Obst dazutat. Da sie ihn mit den seltsamen Steingewichten hatte trainieren sehen, hatte sie erwartet, er wäre unbeholfen oder ungeschickt, doch stattdessen arbeitete er mit dem souveränen Können eines Küchenmeisters.
»Kochen Sie immer für Ihre Gefangenen?« Sie zuckte zusammen, als sie ihn Balsamessig auf das Obst gießen sah. »Oder ist das Ihre Methode, sie loszuwerden?«
»Sie essen nicht, wie Sie essen sollten. Darum geraten Sie so leicht in Zorn.« Er fügte Zucker und Sahne hinzu und trug die Schüssel zum Tisch. »Ein leerer Magen nährt nur die Wut.« Er griff nach der Pfeffermühle und drehte sie über dem Obst.
Jessa unterdrückte ein Lachen. »Nur so aus Neugier – haben Sie je von Kochbüchern gehört?«
»Nein.« Er schwang die Schüssel einige Male, griff hinein, nahm eine sahneumhüllte Erdbeere am grünen Stängel und bot sie ihr an.
»Danke, aber ich bin nicht scharf auf –«
»Probieren Sie.« Er strich ihr mit der Erdbeerspitze über die Unterlippe und verschmierte einiges von der Sahne darauf, weil sie nicht mitspielte. »Haben Sie Angst, sie könnte Ihnen schmecken?«
Sie biss eine halbe Erdbeere ab, um ihm das ekelhafte Ding entgegenzuspucken, doch dann erfüllte der säuerliche, durch Sahne seidig und durch Zucker süß gewordene Saft der warmen Beere ihren Mund. Essig und Pfeffer verstärkten den Geschmack nur und verliehen ihm eine raffinierte Note und ein wenig Feuer.
»Oh.«
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