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Dunkle Beruehrung

Dunkle Beruehrung

Titel: Dunkle Beruehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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zweites Mal zu ergreifen.
    Tanicus zog sich das Schwert aus der Brust und nutzte es als Stütze, um sich aufzusetzen. Er zerrte an seinem Unterkittel und beobachtete mit großen Augen, wie die Wunde in seiner Brust zu bluten aufhörte und sich zu schließen begann. Erneut auf sein Schwert gestützt, rappelte er sich auf.
    Dann kniete er neben einem toten Römer nieder, legte ihm die Hand auf die Brust, sprach mit leiser Stimme ein Gebet und zog behutsam den Umhang unter seinem Körper weg. Dasselbe tat er bei weiteren Männern, hüllte sich in deren Kleidung und wickelte sein Schwert schließlich in eine zu Boden gefallene Satteldecke. Die Waffe musste er mitnehmen, denn sie war sein einziger echter Beweis dafür, dass der Kurier aus Judäa die Römer an ihre Feinde verriet.
    Tanicus drehte sich um und marschierte auf das Gebirge zu. Matthias wusste ebenso wie der Römer, dass das Lager der Grenzpatrouille auf der anderen Seite des Höhenzugs lag und der Pass über die Berge der schnellste Weg dorthin war.
    Es schneite wieder, als Tanicus den Weg hinaufstieg. Er schlang sich die Umhänge fester um den Leib und bedeckte den Kopf, doch das Unwetter wurde schlimmer, wie es in den Bergen oft der Fall ist. Bald kämpfte der Römer sich mit gesenktem Blick und um die Satteldecke geschlungenen Armen durch tobenden Sturm und beißenden Hagel.
    Er hörte nicht, wie sich über ihm ein Schneebrett löste, und blieb erst stehen, als er den Boden vibrieren spürte. Im nächsten Moment holten ihn die Schneemassen von den Füßen und beförderten ihn auf den Grund des Hochtals, wo er unter Tonnen von Schnee und Gestein verschwand.
    Zeit verging, und die Passroute blieb tief verschneit. Römer marschierten von Süden über die Berge, dann kamen Barbaren mit ihrer Armee aus dem Norden. Es wurde Morgen und Abend, Morgen und Abend, und das Licht kam und ging stets rascher. Immer wieder waren schemenhafte Menschenhaufen auf dem Pass zu sehen. Manchmal konnte Matthias einige von ihnen und ihre seltsame Kleidung genauer erkennen, während die Schneehöhe im Gebirge allmählich wuchs.
    Wieder löste sich eine Lawine, donnerte entlang der Passroute zu Tal und räumte alles ab, was ihr im Weg war. Weiter unten kauerten einige junge Leute unter einem Felsüberhang und beobachteten ängstlich, wie der Schnee an ihnen vorbeischoss, die reglose Gestalt eines Mannes freigab und dabei Reste alter, lange verrotteter Wollsachen mit sich riss.
    Die jungen Leute redeten in einer seltsamen Sprache, als sie zu dem Mann eilten und ihn aus dem Schnee bargen. Er öffnete die Augen und sah in die Gesichter dieser Kinder, deren Sprache er nicht verstand und deren Kleidung und Ausrüstung anders waren als alles, was er kannte. Einer der Jungen bot ihm seine Hand und lächelte ihn ermutigend an.
    Tanicus, der hintergangene Römer, der zweimal gestorben war – erst durch das Schwert des Verräters, dann aufgrund einer Laune der Götter –, hob den Arm und ergriff die Hand.
    Du warst der im Schnee begrabene Römer
.
    Matthias sah die Frau neben sich an, die die Rettung beobachtete. Es war Jessa, und sie – nicht etwa die Götter – hatte ihn hierhergebracht.
    Ja. Ich bin Gaius Maelius Tanicus
.
    Jessa kehrte aus dem
Zwielicht
ins Sonnenlicht zurück und lag noch immer eng umschlungen mit Matthias im Bett. Sie wusste nicht, wie es geschehen war, dass er an ihrer Vision hatte teilhaben können, doch er war mit ihr dort gewesen und hatte mit angesehen, was ihm vor langer Zeit widerfahren war. Das Schicksal hatte ihr den Mann, den sie liebte, über viele Epochen hinweg zugeführt.
    »Es tut mir leid«, sagte sie und bedauerte aufrichtig, ihm dieses Erlebnis zugemutet zu haben. »Ich hatte dich nicht dorthin mitnehmen wollen.«
    Er musterte sie, und das Vergangene verdüsterte seinen Blick. »Ich wünschte, ich hätte dir davon erzählt. Doch mir war klar, dass du mir nicht geglaubt hättest.«
    »Manches muss man einfach sehen, um es zu glauben.« Sie streichelte sein Gesicht mit staunenden Fingerspitzen. »Du warst so lange begraben – es muss entsetzlich für dich gewesen sein, in unserer Welt zu erwachen.«
    »Erst glaubte ich, woanders zu sein, im Elysium vielleicht.« Er lächelte schwach. »Die Kinder, die mich fanden, waren so jung und nett. Aber sie besaßen sehr viele merkwürdige Dinge, und ihre Sprache … Ich konnte höchstens das eine oder andere Wort begreifen. Von dort haben sie mich ins Dorf hinuntergebracht, und ich sah die Gegend jenseits der

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