Dunkle Beruehrung
verließ sie das Zimmer.
Jessa ging ins Bad und aß dann ihr Frühstück. Was Rowan zubereitet hatte, schmeckte so ausgezeichnet wie das Essen am Vorabend, und sie verputzte es mit Freude. Danach trug sie das Tablett in die Küche, wo sie eine frisch aufgebrühte Kanne Kaffee, aber keine Rowan entdeckte. Sie schenkte sich eine zweite Tasse ein, wusch ihr Geschirr ab und stellte es zum Trocknen auf das Gestell neben der Spüle.
»Wie haben Sie geschlafen?«
Jessa fuhr so rasch herum, dass sie Matthias beinahe gerammt hätte, musste an ihren Traum denken und wich zurück, um jeden Kontakt zu meiden. »Meine Güte – Sie schleichen wie eine Katze. Oder haben Sie sich hergebeamt?«
»Hergebeamt?« Er sprach das Wort langsam, als sagte er es zum ersten Mal.
»Das bedeutet … ach, egal.« Er war eben sehr leise, und statt über ihre lächerlichen Träume nachzudenken, musste sie der Umgebung mehr Aufmerksamkeit widmen. »Ich würde besser schlafen, wenn ich meine Tür abschließen könnte.« Dann müsste sie sich auch keine Sorgen mehr wegen ihrer Träume machen.
»Sie brauchen kein Schloss.« Er schenkte ihr kurz sein strahlendes Lächeln. »Sie sind in Sicherheit, Jessa.«
»Das sagen Sie mir dauernd.« Sie machte den Fehler, ihm ins Gesicht zu sehen, und tappte erneut in die Falle seines goldenen Jadeblicks. Sie kannte Männer mit schöneren Augen, aber so durchdringend wie er hatte noch keiner geschaut. Kaum war er in ihrer Nähe, konzentrierte er sich ganz auf sie. Das hätte sie verunsichern sollen, doch es befriedigte sie. »Wie spät ist es?«
»Vormittag.« Er nahm einen Becher aus dem Schrank und schenkte sich Kaffee ein.
Sie sah sich in der Küche um. »Haben Sie hier unten denn keine Uhren?«
»Die brauchen wir nicht.« Er musterte sie. »Ich hatte Rowan gebeten, Ihnen neue Kleidung zu besorgen.«
»Sie hat mir Sachen gebracht.« Jetzt allerdings fühlte Jessa sich verlegen – und schmuddelig. »Ich wollte mich nach dem Duschen umziehen.«
Er trank einen Schluck Kaffee. »Sagen Sie ihr Bescheid, wenn Sie Tinkturen oder Tusche brauchen.«
»Wie bitte?«
Er runzelte die Stirn. »Diese Salben und Farben, die Frauen verwenden.« Er machte eine vage Handbewegung. »Um sie nach dem Bad im Gesicht und anderswo aufzutragen.«
»Meinen Sie Lotion und Make-up?«, schlug sie vor. Er nickte und sie sagte: »Ihr Englisch ist gut, aber nicht Ihre Muttersprache – das merke ich. Wo sind Sie daheim?«
»Nirgends.« War es Wut oder Bedauern? Etwas verdunkelte seine Miene, ehe er sich abwandte. »Wenn Sie im Bad fertig sind, kommen Sie bitte in die Bibliothek. Wir haben viel zu besprechen.«
Obwohl er die Sonnenbrille trug, die seine
Sygkenis
ihm besorgt hatte, reizte die aufgehende Sonne Lucans Augen. Samantha dagegen schien das Licht nichts auszumachen. Ärgerlicher als diese Unannehmlichkeit aber war, dass man sie am Eingang des Anwesens warten ließ. »Warum stehen wir hier draußen herum, wenn wir längst drinnen sein könnten?«
»Wir bräuchten einen Durchsuchungsbeschluss, um das Gebäude unaufgefordert zu betreten«, gab Sam geistesabwesend zurück und beobachtete den Sterblichen in der kleinen Bude, die als Wächterhaus diente. »Mach bitte dein Fenster auf.«
Lucan drückte auf einen Knopf, bis die Scheibe ganz heruntergelassen war. Als er einen überaus strengen Geruch einatmete, verstand er ihre Bitte. »Der Wächter hat Angst.«
»Und nicht vor uns. Warte hier.« Sie stieg aus.
Während seine
Sygkenis
den Mann befragte, lehnte Lucan sich zurück und schloss die brennenden Augen. Er hatte nicht versucht, sie davon abzubringen, sich seiner Jagd auf diesen Kyn-Schurken anzuschließen, denn er wusste aus Erfahrung: Falls er ihr befahl, zurückzubleiben, würde sie ihm einfach folgen. Schon als sie noch Mensch gewesen war, hatte sie keinerlei Furcht gekannt.
Es sei denn, es ging um ihre Natur
, überlegte er. Samantha konnte Tag und Nacht brutale Killer jagen, doch kaum sollte sie selbst sich von Blut ernähren, schreckte sie davor zurück wie eine Nonne vor der Orgie.
Er verstand ihre Abneigung dagegen, dass sie beide Menschenblut brauchten. Sie war Kind des einundzwanzigsten Jahrhunderts und in einem Land des Reichtums und Mitgefühls aufgewachsen. In den USA , so hieß es, brauchte niemand zu hungern oder gar Hungers zu sterben. Außerdem waren Dutzende lächerlicher Filme über Vampire geradezu eine Gehirnwäsche für sie gewesen, Filme, die ihre Natur als böse und ihre Abhängigkeit von
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