Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
um die Diamantminen, denen er sich für Geld hingegeben hatte. Oder die brutalen Schläger im Zuchthaus von Lüderitz. Ian war einer davon gewesen, einer der Schlimmsten. Aber wenigstens hatte der ihn im Zuchthaus vor den anderen beschützt und bei der Flucht mitgenommen. Ein gutes Maultier oder einen bequemen Reitsattel ließ man ja schließlich auch nicht einfach irgendwo zurück. Aber der hier war etwas ganz anderes. Viel feiner, nicht so brutal. Und wenn er es von Natur aus lieber mit Männern als mit Weibern trieb, dann war für ihn hier vielleicht wirklich was zu holen.
„Ich heiße Robert. Und du, wie heißt du?” flüsterte der schöne Deutsche.
„Plaatje.” Die Antwort kam als atemloser Stoß aus einer engen, von Gefühlen überquellenden Hühnerbrust.
„Plaatje, hilf mir. Hilf uns beiden. Es kann kein Zufall sein, dass zwei Männer wie wir ausgerechnet hier, in dieser Wildnis, aufeinander treffen. Ich bin nicht arm, und wenn wir zusammen lebendig hier herauskommen, nehme ich dich mit nach Berlin und nach London. Du wirst bei mir ein schönes Leben haben. Viel besser als mit dem Kerl da drüben am Wasserloch.”
Plaatje hatte immer wieder Geschichten gehört, über die eleganten Clubs und Salons der homosexuellen Männer in den großen europäischen Städten. Es hieß, sie hätten eine eigene kleine Welt für sich, drüben in Europa. Obwohl es dort genauso verboten war wie hier, achtete anscheinend niemand darauf. Viele von ihnen waren sogar berühmt und gingen bei Hofe aus und ein. Sie fuhren Automobile, besaßen Maßanzüge und glitzernde Abendkleider, waren selbst am helllichten Tag parfümiert und traten in Kabaretts als gefeierte Stars auf. Er, Plaatje, hatte es bisher lediglich zu einer Federboa gebracht, die er in dem Lüderitzer Bordell zusammen mit den Diamanten gestohlen hatte. Nach all den Jahren war sie dünn und räudig geworden, wie ein alter Katzenschwanz. Aber er trug sie immer noch manchmal abends um den Hals, wenn Ian nach etwas Romantik und Stil verlangte. Schöne Damen suchten in Europa die Gesellschaft homosexueller Männer, so hieß es. Und all das könnte er vielleicht mit dem Deutschen erleben? Er würde ihn mitnehmen, aus Dankbarkeit, weil er ihm das Leben gerettet hatte. Plaatjes Kopf wurde ganz leicht. Ihm war ein wenig schwindlig bei dem Gedanken.
Mehr Fluchen und Schreien vom Wasserloch. Plaatje schrak auf. Ian rief nach ihm. Die ungekannte Leichtigkeit verschwand im gleichen Augenblick, wie sein feiges Herz anfing wild zu flattern. Ian würde sie beide erschießen, ohne auch nur einen einzigen Augenblick zu zögern. Robert wusste, dass es jetzt ums Ganze ging.
„Plaatje, gib mir den Revolver. Du musst nichts anderes tun, nur das. Du wirst es nicht bereuen.”
Plaatjes Augen irrlichterten zwischen Robert und dem Wasserloch hinter dem Dornengestrüpp hin und her. Er stöhnte jetzt leise vor Angst und verzehrte sich gleichzeitig vor Hoffnung auf Robert und die in Aussicht gestellten Belohnungen.
„Plaatje, du gottverdammter Wichser, komm rüber oder ich besorg’s Dir mit dem Peitschenstiel!”
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn der Schotte die grausige Drohung nicht ausgerechnet in diesem Moment von sich gegeben hätte. Sie hielt Plaatje in wenigen Worten den ganzen abgründigen Sumpf vor Augen, in dem er seit Jahr und Tag umher irrte. Und den er, dank einer unglückseligen Mischung aus Einfältigkeit und hartnäckiger Faulheit, bisher als seinen natürlichen Lebensraum betrachtet hatte. Bisher! Denn nun war aus heiterem Himmel, unter dramatischen Umständen, plötzlich ein leibhaftiger weißer Ritter aus dem glanzvollen Europa in sein miserables kleines Leben getreten. Wenn er ihm jetzt den Revolver gab, konnte der Rest des Märchens wahr werden. Plaatje stand auf. Seine dürren Schulten dehnten sich entschlossen, sein fliehendes Kinn strebte nach vorn und aus seinen wässrigen Augen strahlte der Glanz eines tapferen Entschlusses, der sein Leben für alle Zeiten ändern sollte. Er senkte diesen Blick tief in die drängenden Augen seines Hoffnungsträgers, ließ den Revolver neben Robert auf den Boden fallen und schlug sich in die Büsche.
Ein paar Minuten später war der Schotte tot. Robert hatte ihn aus sicherer Entfernung ganz unspektakulär mit einem sauberen Blattschuss erledigt. Ganz anders als der Elefant musste Ian nicht leiden. Er sackte nur mit einem erstaunten Gesichtsausdruck in sich zusammen. Dass der Stoßzahn, den er über der
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