Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
überfallen, angeschossen und beraubt worden. Die Männer nahmen sie an Bord und brachten sie im nächsten Hafen an Land. Alexander Bay war eine schäbige Shanty Town am südafrikanischen Ufer des Oranje. Dort wurde Roberts Wunde von einem alten Feldscher aus dem Burenkrieg, der auch als Zahnarzt und Barbier tätig war, behandelt. Das war alles. Plaatjes Rolle bei dieser Rettungsaktion beschränkte sich darauf, den Robbenjägern ständig im Weg zu sein, penetrante Anweisungen für den Umgang mit dem kostbaren Patienten zu geben und ihnen mit seinem Jammern so auf die Nerven zu gehen, dass sie diskutierten, ob man ihn nicht wieder an seinem Fundort aussetzen sollte.
In Alexander Bay nahm sie der Feldscher ohne weitere Fragen für die ersten Tage in seinem Haus auf. Er hatte unzählige Schuss- und Stichwunden aus Kriegen, Schlägereien, Überfällen und Familienfesten im Laufe seines Lebens mit primitivsten Mitteln kuriert. Wie knapp Robert überlebte hatte, wusste nur der Feldscher, aber der war von maulfauler Natur. Gerade diese Einsilbigkeit aber war es, die Plaatje mit der Schlauheit einer Latrinenratte sofort als Vorteil erkannte. Er suchte noch in der ersten Nacht den kleinsten Diamanten aus dem Brustbeutel, immer noch gut über ein Karat schwer, und bot ihn dem Feldscher unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu einem absoluten Freundschaftspreis an. Abzüglich eines großzügigen Behandlungshonorars, versteht sich. Auch das war in dieser Gegend nichts Besonderes. Der Alte stellte keine Fragen, und in kurzer Zeit war man handelseinig. Fünf Tage später, als das Wundfieber gebrochen war, schaffte man Robert in das Hotel Oranje, und zwar in die einzige dort verfügbare Suite. Die Adelung des Dreckslochs zur Suite rechtfertigte der Besitzer mit der zusätzlichen Ausstattung durch einen verwanzten Diwan und die Tatsache, dass das Zimmer ein Schloss an der Tür hatte. Die anderen Unterkünfte, die im Hotel Oranje angeboten wurden, waren ein Stockwerk höher, unter dem Wellblechdach. Sie bestanden aus einer langen Reihe nach oben offener Bretterverschläge, deren Privatsphäre jeweils vorne durch einen verwaschenen Kattunvorhang gewährleistet wurde. Mit dem Rest des Geldes, das Plaatje für den Diamant bekommen hatte, hätten die beiden bei Vollpension für die nächsten sechs Monate im Hotel Oranje logieren können. Sie waren gern gesehene Gäste, weil Plaatje jede Woche im Voraus bezahlte. Robert bekam niemand wirklich zu Gesicht, er war ans Bett gefesselt, zuerst durch das Fieber, dann von Plaatje selbst. Der holte auch das Essen und alle Getränke von unten und versperrte jedes Mal die Tür. Er ging nicht aus, entfernte sich niemals länger als unbedingt nötig aus dem Zimmer und öffnete keinem Menschen, außer dem Feldscher. Er entschuldigte das unsoziale Verhalten durch die schwere Verwundung seines Freundes, der dem Tod immer noch näher stand als dem Leben. Den Rest der Geschichte hatte ja die ganze Stadt von den Robbenjägern an der Bar gehört.
All das führte bei den gelangweilten Einwohnern von Alexander Bay zu einer galoppierenden Mystifizierung des geheimnisvollen Verletzten im Hotel Oranje. Schon nach zwei Tagen war aus Plaatjes deutschem Botaniker ein berühmter Gelehrter mit schnell wechselnden Fachrichtungen geworden. Nach weiteren achtundvierzig Stunden war ein vornehmer Stammbaum samt hochvermögender, politisch einflussreicher Berliner, wahlweise Hamburger Familie, hinzugekommen. Von da an verdichteten und verwoben sich die Gerüchte im Stundentakt. Vom deutschen Topspion zum Doppel- und Dreifachagenten, bis hin zum persönlichen Unterhändler des abgesetzten deutschen Kaisers, der General Hertzog um politisches Asyl ersuchte, weil ihm das Klima in Holland nicht bekam. Niemals zuvor und niemals danach erlangte Robert eine vergleichbare Berühmthe it.
Von all dem merkte der Sagenumwobene nichts. Er war Plaatjes Gefangener, und keine Nachricht von draußen drang in das stickige Zimmer im Hotel Oranje vor. Alles, was ihm während der deprimierenden Tage seiner Gefangenschaft blieb, war, seine miserable Situation immer wieder zu analysieren. Er dachte sich Pläne für mögliche Befreiungsschläge aus und stellte sich im Übrigen so krank wie möglich. Zeit zu gewinnen war das einzige, was er im Augenblick tun konnte. In Wirklichkeit machte seine Gesundheit gute Fortschritte. Er hatte schon seit Tagen fast kein Fieber mehr, die Wunde heilte aus, und der Feldscher nahm ihm den jammervollen Zustand,
Weitere Kostenlose Bücher