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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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mein Handy aus der Tasche und wählte per Wahlwiederholung Emmas Nummer. Dann hielt ich das Gesicht ganz nahe an das zerbrochene Fenster und lauschte. Auf der Straße fuhren Autos vorbei. Irgendwo am Himmel war ein Hubschrauber unterwegs. Kaum eine Sekunde der Stille. Dann kam doch eine, und ich hörte das Klingeln. Schwach, aber deutlich. Emmas Handy war irgendwo in diesem Gebäude.
    Dann wurde das Klingeln von einem lauten, entsetzten Schrei übertönt. Als der Schrei verstummte, hatte ich schon die Tür aufgestoßen.
    Selbst wenn keine unmittelbare Gefahr droht, haben Gebäude, die geschlossen sind, immer etwas Beängstigendes an sich. Eine Schule wirkt nachts unheimlich. Ein Kaufhaus sogar noch mehr, nachdem die Kunden alle nach Hause gegangen sind. Dieser Ort, den ich von damals her so gut in Erinnerung hatte, schien seine Vergangenheit nicht hinter sich lassen zu können. Als ich in die Dunkelheit vor mir spähte, konnte ich fast das Kreischen und Planschen spielender Kinder hören und jene seltsamen, rhythmischen Echos, die man nur in Gebäuden mit großen Räumen und Wasser hört.
    Ich schwör’s, ich konnte immer noch Chlor riechen.
    Ein kleines Stück entfernt schien eine Straßenlaterne durch ein Fenster herein. In ihrem sanften, orangegelben Lichtschein lag ein Schuh. Auf Zehenspitzen ging ich hin und bückte mich. Es war kein Staub darauf. Dieser Schuh war noch nicht lange hier. Er gehörte Emma. Ich wusste es.
    Brotkrumen!, schrie die Stimme des gesunden Menschenverstandes. Das ist eine Brotkrumenfährte. Er lockt dich herein.
    Der gesunde Menschenverstand siegte. Nichts wie raus hier. Gerade trat ich einen Schritt zurück, auf die Tür zu, als ich die Feuertreppe quietschen hörte. Draußen war jemand auf eine der Stufen getreten.
    Also keine Fährte, sondern eine Falle.

29
    Grauenvoll nahe an nackter Panik huschten meine Augen herum wie die einer verängstigten Maus. Ich befand mich in einem großen Raum, der früher einmal ein Büro gewesen war. Noch immer standen Schreibtische und Stühle herum. In der Mitte des Raumes stand eine Reihe Spinde und teilte ihn in zwei Hälften. Rasch eilte ich hinüber und trat in den Schatten dahinter. Von irgendwoher konnte ich immer noch Emmas Handy klingeln hören, doch wenn ich die Verbindung jetzt abbrach, würde das Piepen meines eigenen Telefons mich verraten. Irgendwann während der letzten paar Sekunden hatte ich aufgehört zu atmen. Ich zwang mich, leise auszuatmen.
    Derjenige, der die Treppe hinaufkam, machte mehr Krach, als ich es getan hatte. Eine schwerere Person. Ich hörte das leise Reiben von Holz auf Holz, als die Tür aufgedrückt wurde. Ein Schritt herein. Dann noch einer.
    Stille. Er lauschte, wartete darauf, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Jeden Augenblick würde er Emmas Schuh sehen, würde die Spur entdecken, die ich im Staub hinterlassen hatte, als ich ihn verschoben hatte. Er würde wissen, dass ich hier war. Die Schritte waren abermals zu vernehmen, leiser diesmal. Er wusste, wo ich war.
    Eine dunkle Silhouette kam hinter der Spindreihe hervor. In der Dunkelheit sah sie riesengroß aus. Dann trat sie in einen Lichtfleck, und ich dachte, ich müsste vor Erleichterung sterben.
    »Hier bin ich«, flüsterte ich.
    Joesbury fuhr herum, und ich eilte auf ihn zu; verblüfft, wie froh ich war, jemanden zu sehen, den ich nicht ausstehen konnte. Selbst aus der Nähe war er nicht viel mehr als ein Schatten, doch seine Augen leuchteten mir entgegen. Und zwar nicht besonders freundlich.
    »Hier ist jemand«, berichtete ich. »Ich habe einen Schrei gehört. Er ist irgendwo hier drinnen. Wir müssen –«
    Joesbury legte einen Finger an die Lippen und hob dann sein Funkgerät. »Sie ist hier«, meldete er. »Ja, wir knobeln darum, wer sie erwürgt, wenn wir hier rauskommen. Können Sie ein Telefon klingeln hören?«
    Ich konnte Andersons Antwort nicht verstehen, doch gleich darauf strebte Joesbury auf die am weitesten entfernte Tür des Raumes zu und winkte mir, ihm zu folgen. Vor der Tür blieb er stehen und horchte, dann zog er sie auf und trat hindurch.
    Ich tat es ihm nach. Wir befanden uns auf der Galerie, die sich fast ganz um das größere der beiden Schwimmbecken herumzieht. Früher, als streng nach Geschlechtern getrennt geschwommen wurde, war sie als »Männersprung« bekannt gewesen. Oben standen immer noch Bänke für Schulwettkämpfe, bei denen die stolzen Eltern irgendwo hatten sitzen müssen. Joesbury ging langsam die

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