Dunkle Gebete
erklärte er und streckte einen in Latex gehüllten Finger aus. »Und dieses kleine Loch hier ist die äußere Öffnung des Gebärmutterhalses, quasi der Fluchtweg für das Neugeborene. Sehen Sie, dass es schlitzförmig und ein bisschen verzogen ist?«
»Inwiefern ist das von Bedeutung?«, wollte Tulloch wissen.
»Vor einer vaginalen Geburt ist diese Öffnung glatt und kreisrund«, antwortete Kaytes. »Die hier nicht. Sie hat wenigstens einmal vaginal entbunden.«
An Tullochs Hals waren Adern zu sehen, die mir noch nie aufgefallen waren. Die Muskeln ihres Kiefers schienen angespannter zu sein als sonst. »Also war sie Mutter«, meinte sie. »Haben Sie eine Ahnung, wie alt sie war?«
»Machen wir das Ding doch mal auf, ja?«, schlug Kaytes vor und griff nach einem Skalpell, just als ein verblüffend fröhliches Aufbrausen der Musik zu vernehmen war. Zwei Finger schlugen wiederholt dieselben Tasten an. Ich warf einen raschen Blick zu Tulloch hinüber, als der Schnitt gemacht wurde. Sie zuckte mit keiner Wimper.
»Also, es sind ein paar Myome vorhanden, aber keins davon ist groß genug, um den Uterus zu verformen«, stellte Kaytes fest. »Ein oder zwei sind kalzifiziert, das passiert normalerweise erst im späteren Verlauf des Lebens.«
Ich fing Stennings Blick auf. Er lächelte verkniffen.
»Ich habe ein paar Gefäßschnitte gemacht, bevor Sie gekommen sind«, sagte Kaytes. Er trat von dem Tisch fort und schaltete ein Mikroskop ein. »Einen Augenblick Geduld bitte.«
Wir warteten, während er den Fokus einstellte. Das Mikroskop war an einen Computerbildschirm angeschlossen, und als der flackernd zum Leben erwachte, erblickten wir eine unbegreifliche Collage aus Rosa, Schwarz und Gelb. »Los geht’s«, verkündete Kaytes und tippte auf den Bildschirm. »Was Sie hier sehen, ist ein Segment der Uterusarterie mit ein paar frühen Anzeichen von Arteriosklerose, im Großen und Ganzen eine Verdickung der Arterienwand. Das ist altersbedingt, kann allerdings durch Rauchen und falsche Ernährung begünstigt werden. Auch die Sterilisation lässt auf ein etwas älteres Subjekt schließen. Meine begründete Vermutung würde lauten, dass diese Frau zwischen fünfunddreißig und fünfundfünfzig war.«
»Ist es möglich …?«, setzte Tulloch an. »Müssen wir … müssen wir davon ausgehen, dass sie tot ist?«
Neben mir sog Anderson scharf die Luft ein. Mir war nie der Gedanke gekommen, dass die Besitzerin des Uterus vielleicht noch … Grundgütiger.
»Nicht unbedingt«, antwortete der Pathologe. »Die Hysterektomie ist hierzulande noch immer eine der häufigsten Operationen. Aber ohne medizinische Betreuung würde es eine Mordsblutung geben, der Schmerz wäre so gut wie nicht beherrschbar, und es bestünde ein enormes Infektionsrisiko.«
Es wurde von Sekunde zu Sekunde schwerer, mir einzureden, ich säße lediglich im Biologieunterricht.
»Ist es möglich, dass das hier das Resultat einer Hysterektomie ist?«, fragte Tulloch. Anscheinend war sie die Einzige von uns, deren Gehirn voll funktionsfähig war. »Dass dieser Uterus während der letzten vierundzwanzig Stunden entfernt und dann als Scherz aus dem Operationssaal geschmuggelt worden ist?«
Kaytes machte ein verdutztes Gesicht. »So was würden heutzutage nicht mal Medizinstudenten versuchen.«
»Sind Sie sicher?«, bohrte Tulloch nach. »Die Alternative ist nämlich sehr viel schlimmer.«
Kaytes setzte eine resignierte Miene auf und beugte sich wieder über den Tisch. Nach ein paar Sekunden schüttelte er den Kopf. »Die Stümpfe der uterinen und ovarialen Gefäße weisen keinerlei Klemmenspuren auf«, sagte er. »Außerdem würde ein Chirurg die kleinen Gefäße diathermisch veröden, besonders um die Zervix herum. Es gibt keine Koagulationsverbrennungen, die darauf hindeuten. Die Schnitte um den Gebärmutterhals sind alles andere als sauber ausgeführt; ich würde sagen, da weist einiges auf ziemlich laienhaftes Herumsäbeln hin. Und hier haben wir dieses Gewebefetzchen, das ist ein kleines Stück des Harnleiters, was darauf hindeutet, dass das Ganze in ziemlicher Eile ausgeführt worden ist.« Er richtete sich auf und ließ das Skalpell lose in den Fingern baumeln. »Das hier ist nicht das Resultat eines legitimen Eingriffs«, verkündete er.
»Aber der Betreffende müsste doch trotzdem wissen, was er tut, oder?«, fragte Stenning. »Ich meine, ich könnte nicht einfach so eine Frau aufschneiden und ihr die Gebärmutter rausnehmen.« Fast trotzig blickte
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