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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Menschen, die auf der Straße leben, keinen Internetzugang.
    »Okay«, antwortete sie und streckte die Hand nach der Suppe aus. Ich zog das Foto von Cooper aus der Tasche.
    »Ich suche jemanden«, erklärte ich. »Kannst du dir das hier mal kurz ansehen und mir sagen, ob du den Mann kennst?«
    Sie warf einen raschen Blick auf das Foto und schüttelte den Kopf.
    »Es könnte sein, dass er gefährlich ist«, meinte ich. »Möglicherweise hat er jemanden verletzt.« Sofort kehrte ihr Blick zu dem Foto zurück. Die Menschen auf der Straße reagieren auf Gefahr. Mit Gewalt kennen sie sich nur allzu gut aus.
    »Wem hat er denn was getan?«, wollte das Mädchen wissen.
    »Ein paar Frauen«, antwortete ich. »Ich muss ihn wirklich unbedingt finden.«
    Sie schaute von der Fotografie auf und erblickte meine beiden Begleiter, die nur zwanzig Meter entfernt an der Wand des Tunnels lehnten. Hätte man ihnen KRIMINALPOLIZEI auf die Stirn tätowiert, es hätte nicht offensichtlicher sein können.
    »Sind Sie von der Polizei?« Jetzt war ich es, vor der sie Angst hatte.
    »Hast du ihn gesehen?«, fragte ich noch einmal. »Es ist wirklich wichtig.«
    Die junge Obdachlose schaute das Foto nicht mehr an. Sie schüttelte den Kopf und machte Anstalten aufzustehen. Gleich darauf war sie verschwunden.
    Ich blieb den ganzen Rest des Nachmittags draußen, gab den Leuten die Nummer von Joesburys schickem neuem Handy und spendierte endlos Suppenbecher. Die meisten, die mit mir redeten, hatten einen Blick auf das Foto von Cooper geworfen und den Kopf geschüttelt. Kurz vor vier sprach ich mit einem Mann Ende sechzig, der das Bild einige Sekunden lang wirklich eingehend betrachtete, und schöpfte schon Hoffnung. Die Gemeinschaft der Obdachlosen ist nicht gerade riesengroß. Wenn man eine Zeitlang auf der Straße lebt, kennt man nach und nach die meisten Gesichter. Dann schüttelte der Mann den Kopf.
    »Den hab ich schon lange nich mehr gesehn«, sagte er. »Was hat er denn angestellt?«
    Ich durfte nicht zu interessiert klingen. »Aber Sie kennen ihn?«, fragte ich.
    »Is’ ’n ziemlicher Fiesling«, antwortete der Mann. »Klaut diesen Mädels vom Balkan immer die Kohle – Sie wissen schon, die, die ihre Kinder zum Betteln mitnehmen.«
    »Wo könnte ich ihn finden?«, erkundigte ich mich, als mir klar wurde, dass er nicht mehr sagen würde.
    Wieder schüttelte er den Kopf. »Hat sich mit so ’nem jungen Ding zusammengetan, hab ich gehört«, sagte er. »Wohnt drüben in Acton.«
    Am Ende des Tages war ich müde und ziemlich deprimiert. Das geht einem unter die Haut, das Leben auf der Straße, auch wenn man weiß, dass man zumindest im Moment auch woanders hin kann. Es ist, als wüsste man, dass es immer da ist, dass es wartet, auf den Augenblick, wenn einem die Zügel aus der Hand gleiten.
    Immerhin, wir wussten, dass Samuel Cooper möglicherweise irgendwo in Acton mit einer Frau zusammenwohnte. Das war wenigstens etwas. Wir konnten sein Foto auf Plakaten in der Gegend aushängen, es in die Lokalzeitungen setzen. Irgendjemand kannte ihn bestimmt.
    Auf dem Rückweg zum Revier schaute ich in meiner Wohnung vorbei und fand dort vier Handwerker bei der Arbeit vor. Ich wanderte zwei Minuten lang herum und machte mich mit den verschiedenen Verbesserungen vertraut, die Joesbury angeordnet hatte – Alarmanlage, Überwachungskameras, Notrufknöpfe und Hi-Tech-Schlösser –, doch der Anblick so vieler Menschen in einem Bereich, der früher nur mir allein gehört hatte, ging mir an die Nieren, also verzog ich mich aufs Revier.
    In Lewisham stellte ich fest, dass keiner aus dem Team besonders viel Glück gehabt hatte. Weder die Familie Jones noch irgendjemand aus der Wohnsiedlung in Kennington konnte sich erinnern, Cooper schon einmal gesehen zu haben. Etwas Besseres, als dass jemand ihn in Acton vermutete, hatten wir nicht.
    Eine Stunde später teilte man mir mit, dass die Arbeiten in meiner Wohnung abgeschlossen wären. Ich wollte nach Hause gehen und mich auf dem Sofa zusammenrollen, sicher und geborgen hinter all den Barrieren, die Joesbury um mich herum hatte errichten lassen. Daraus würde nichts werden; ich musste noch rüber zu Scotland Yard, damit das SO10 mich mit intimen Peilsendern ausstatten konnte. Als ich gerade den Computer herunterfuhr, klingelte das Telefon.
    » DC Flint«, meldete ich mich.
    »Ja, äh, hi«, sagte die Stimme eines jungen Mannes. »Ich mach mir Sorgen wegen dem Schuppen im Park, ich glaub, da ist irgendwas

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