Dunkle Gebete
Vergammeltes drin.« Sein Akzent klang nach dem Londoner Norden, und seine Stimme war ein klein wenig undeutlich, als hätte er getrunken.
Ich seufzte. Das war etwas für die Streife. Manchmal, wenn in der Zentrale besonders viel los war, konnten eingehende Anrufe sonstwo landen. »Okay.« Ich griff nach einem Stift und schrieb mir seinen Namen auf und von wo er anrief. »Verzeihung, sagten Sie Schuppen?«
»Ja, der Bootsschuppen. Im Park.« Die Tür ging auf und Joesbury kam herein. Plötzlich hatte ich ganz viel Zeit, dem Anrufer zu helfen.
»Was gibt’s denn da für ein Problem?«, erkundigte ich mich, während Joesbury angeschlendert kam und sich keinen Meter von meinem Schreibtisch entfernt ans Fensterbrett lehnte. Er trug ein dunkelblaues Rugbyhemd. Ein paar Zentimeter Brusthaar waren durch die Knopfleiste am Hals gerade noch zu erkennen.
»Da stinkt’s«, lautete die Antwort. Joesbury hatte ein kleines Muttermal dicht unter dem einen Ohr. »Und da sind überall Fliegen«, berichtete der Anrufer gerade. »Ich glaub, da drin ist irgendwas abgekratzt.«
»Vermutlich bloß ein Kaninchen oder so etwas, aber wir können ja mal nachsehen«, erwiderte ich. Wahrscheinlich würde ich stattdessen den Anruf an das zuständige Umweltamt weiterleiten. »Um welchen Park geht’s denn?«
»Victoria.«
Super. Der Victoria Park lag auf der Nordseite des Flusses. Gar nicht unser Zuständigkeitsgebiet.
»Vielen Dank für den Anruf, Sir. Wir kümmern uns gleich darum«, sagte ich, während Joesbury einen tiefen Seufzer ausstieß. Offenbar hielt er nicht allzu viel von meiner »Polizistin des Jahres«-Nummer. Ich legte auf.
»Sind Sie so weit?«, wollte er wissen.
»Muss nur noch mal kurz telefonieren«, antwortete ich. »Oben in Tower Hamlets ist irgendwas verendet.« Ich zog das Telefonverzeichnis der Londoner Polizei zu mir heran.
»Was haben Sie gesagt?« Joesbury war vom Fenster weggetreten.
Ich schüttelte den Kopf. »In einem Schuppen stinkt’s, und Fliegen sind da auch … ist wahrscheinlich nur Müll oder so was. Geben Sie mir noch zwei Minuten.«
Ich griff abermals nach dem Hörer. Joesbury beugte sich über den Schreibtisch und drückte auf die Gabel.
»In Tower Hamlets ist irgendwas gestorben, und der Anruf kommt bei Ihnen an?”, fragte er.
»Na ja, wäre natürlich wünschenswert, wenn die Allgemeinheit sich mit den diversen organisatorischen Feinheiten der Londoner Polizei auskennen würde, aber betrüblicherweise haben ein paar Leute es immer noch nicht kapiert«, gab ich zurück. »Soll ich ein anderes Telefon benutzen, oder haben Sie vor, das da loszulassen?«
»Wo in Tower Hamlets?«
»Im Victoria Park.«
Er blinzelte, dann nahm er mir den Hörer aus der Hand.
»Oh, tun Sie sich bloß keinen Zwang an«, schmollte ich, als er zur Seite trat.
»Hi, hier ist DI Joesbury.« Jetzt hatte er mir den Rücken zugekehrt. »Das Gespräch, das Sie gerade durchgestellt haben, wollte der Anrufer mit jemand Bestimmtem sprechen? … Okay, nach ihr persönlich? Sicher? … Zeichnen Sie im Moment gerade die Anrufe auf? … Schade. Trotzdem vielen Dank.«
Joesbury legte auf. Ich konnte eine Ader in seinem Hals pulsieren sehen, direkt unter dem Muttermal. Dann drehte er sich um und sah mich etliche Sekunden lang wortlos an.
»Haben Sie heute Abend schon was vor, Flint?«, fragte er schließlich.
»Wieso, wollen Sie mit mir ausgehen?«
Joesbury stieß ein kleines, spöttisches Lachen aus und schüttelte den Kopf. »Hoffen wir, dass ich Gelegenheit dazu bekomme«, antwortete er. Dann ging er zur Tür, hielt sie auf und schaute zu mir zurück. »Bis dahin«, fuhr er fort, »liegt da draußen irgendwo eine Leiche, und irgendjemand hat gerade hier angerufen, wollte Sie persönlich sprechen und hat Ihnen was von Gestank und Fliegen in einem Park erzählt, der nicht mal zu diesem Bezirk gehört.«
»Ich sollte DI Tulloch Bescheid sagen«, stieß ich hervor und kam mir vor wie eine Vollidiotin.
»Lassen Sie uns beide zuerst mal still und heimlich nachsehen, was da los ist«, erwiderte er. »Wenn’s ’ne Ratte ist, schmeißen wir sie einfach in die nächste Mülltonne. Und wer weiß? Vielleicht möchte ich dann vor lauter Erleichterung sogar noch was mit Ihnen trinken gehen. Kommen Sie.«
36
Vierzig Minuten später fuhren wir über die Tower Bridge. Joesbury hatte nicht einmal Musik angemacht. Jedes Mal, wenn wir anhielten, trommelte er mit den Fingern aufs Lenkrad, bis es weiterging. Als wir Aldgate
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