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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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warf mir einem schnellen Blick zu, dann schaute er auf seine Füße. »Ja, die steckt in meiner Tasche«, sagte er. »Sie hat sie noch nicht gesehen.«
    Ich starrte ihn an, bis er mich wieder ansah. Nur eine Sekunde lang. Dann wanderte sein Blick zurück zur Southwark Bridge.
    »Jetzt ist nicht der richtige Moment, weiche Knie zu kriegen, Flint«, sagte er. »Sie werden im Team gebraucht.«
    Er log. Seit er wusste, dass unser Mörder noch frei herumlief, war sein früheres Misstrauen mir gegenüber zurückgekehrt. Er hatte meinen Zettel gefunden, hatte erraten, dass ich mich davonmachen wollte, und stellte sich mir mit voller Absicht in den Weg. Dieses ganze Gerede davon, mich wieder in den Sattel zu setzen, war Blödsinn gewesen. Von jetzt an würde er mich unablässig beobachten.
    Ich wandte mich von ihm ab und blickte zum Ufer hinüber. Der Sandstreifen am Wasser war von Steinen verschiedener Größe bedeckt. Ich brauchte ihn nur abzulenken, einen davon aufzuheben, damit auszuholen und ihn dann Joesbury an den Kopf zu werfen. Mit seinem Wagen konnte ich bis Mitternacht in Portsmouth sein.
    »Da kommt unsere Mitfahrgelegenheit«, verkündete er.
     

54
    Ein Polizeiboot kam auf uns zu; seine Bugwelle überspülte bereits den niedrigen Steg. Das Boot kam längsseits, und ein Sergeant in Uniform warf uns ein Tau zu.
    »Die Flut kommt schnell rein«, brummte er Joesbury zu, als dieser das Tau um eine rostige Eisenklampe schlang. Der Sergeant, ein Mann in mittleren Jahren, streckte mir eine große, runzlige Hand entgegen. »Rauf mit Ihnen, Schätzchen.«
    Mir waren die Argumente ausgegangen. Ich reichte dem Mann die Hand, blickte in Augen, die mir vertraut vorkamen, und wurde an Bord gezogen. Neben dem Sergeant waren noch zwei weitere Beamte auf dem Boot, beide befanden sich in einer Art erhöhtem Cockpit. Das Boot legte den Rückwärtsgang ein, und im letzten Moment löste Joesbury das Tau von der Klampe, griff nach der Reling und schwang sich an Bord, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan.
    Wir hielten auf die Mitte des Flusses zu. Der Motor dröhnte laut, und der Regen wetteiferte mit der Gischt darum, wer uns am meisten durchnässen konnte. Eine verirrte Welle kam über den Bug gehopst, und ihr letzter Ausläufer traf mich voll ins Gesicht. Ich schmeckte Salz und etwas Bitteres, Öliges.
    » DC Flint, ich möchte Ihnen Sergeant Wilson von der Wasserpolizei vorstellen«, sagte Joesbury. »Onkel Fred, das ist Lacey.«
    Der Officer, der mir an Bord geholfen hatte, nickte mir zu, warf Joesbury eine Schwimmweste hinüber und half dann mir dabei, eine über den Kopf zu streifen und sie um die Taille festzuschnallen. Dann bedeutete er uns mit einer Geste, in die kleine, mit Fenstern versehene Kabine am Bug zu treten.
    »Mark sagt, Sie müssen sich wieder mit dem Fluss anfreunden«, sagte er zu mir, als er die Tür geschlossen hatte und der Motorenlärm ein wenig leiser geworden war.
    »Ich weiß eigentlich gar nicht, ob ich überhaupt jemals mit ihm befreundet war«, erwiderte ich. Die Kabine war erstaunlich gemütlich, mit gepolsterten Bänken, einer Instrumententafel und einer kleinen Küchenzeile. Es roch ganz leicht nach Plastik und Dieseltreibstoff.
    Die beiden Männer wechselten einen Blick, dann betrachtete Sergeant Wilson lange und eingehend mein Gesicht. »Nach dem, was ich gehört habe, haben Sie Riesenglück gehabt«, meinte er. »Na ja, das hier dürfte ein netter, ruhiger Törn werden. Wir fahren bis zur Sperre runter und machen unterwegs ein-oder zweimal halt; bis zehn Uhr sollten wir euch beide wieder an Land haben. Ist es okay, wenn ich wieder auf die Brücke gehe?«
    Wilson verließ die Kabine, und wir hörten ihn übers Deck gehen und die Stufen zu den beiden anderen im Cockpit über uns hinaufsteigen.
    »Kommen Sie schon.« Joesbury schob mich vorwärts und wischte mit dem Jackenärmel das beschlagene Fenster sauber. »Der Fluss bei Nacht, das ist nicht zu toppen.« Er schaute zu mir herab und bemerkte meinen Gesichtsausdruck. »Es ist natürlich netter, wenn man auf dem Wasser schwimmt und nicht drin.«
    Wir waren fast an der Southwark Bridge. Ich hatte sie noch nie vom Fluss aus gesehen und musste zugeben – aber nur im Stillen –, dass Joesbury nicht ganz unrecht hatte. Verborgene Scheinwerfer hatten die Steinbögen der Brücke türkisblau gefärbt, während die umliegenden Gebäude, alte wie neue, in warmen Gold-und Honigtönen schimmerten. Hinter der Brücke ragte das

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