Dunkle Gefährtin
Sidhe?«
»Nein.« Auf einer Reise mit seinem Vater weit nach Norden hatte Tain die wunderschönen Sidhe kennengelernt, deren strahlend helle, lebensmagische Auren in der Kälte schimmerten. Als er seinem Vater erzählte, was er gesehen hatte, behauptete dieser, Tain hätte phantasiert und Sidhe gäbe es nicht.
Was Tain allerdings nicht überzeugte. Er wusste, dass die Geschichten von Sidhe, Dämonen und Vampiren keine bloßen Erfindungen waren, und jetzt hatte er auch noch den lebenden Beweis vor sich.
Die Vampirin zögerte und entkrampfte ihre Hände. »Du weißt gar nicht, was du bist, nicht wahr?«
»Ich bin Tain, Sohn eines römischen Zenturio.«
»Du bist nicht menschlich, Junge«, erklärte sie und richtete sich wieder auf. »Du bist bis oben voll mit Lebensmagie, der stärksten, die ich jemals gefühlt habe, noch stärker sogar als die der Sidhe. Komm mit mir! Ich bringe dich zu meinem Meister. Er kann dir sagen, was du bist.«
»Ich bin nichts Besonderes«, konterte Tain entschieden.
»Da irrst du dich.« Die Vampirin trat näher und strich ihm übers Gesicht. »Du bist sehr besonders. Mein Meister will dich gewiss kennenlernen.«
»Wer ist dein Meister?«
»Ein großer Dämon, ein Ewiger vom Anbeginn der Zeit. Er ist mächtig und kann auch dir Macht verleihen.«
Tains Leben bestand aus schwerer körperlicher Landarbeit, Schwertübungen und ruhigen Abenden, an denen er seinem Vater lauschte, der ihm Geschichten aus seiner Soldatenzeit erzählte. Ihn zu verlassen, um Abenteuer in Rom zu erleben, war eine Sache, wortlos in die Nacht zu verschwinden, eine vollkommen andere.
»Ich will ihn nicht kennenlernen«, gab Tain zurück. »Trink, bis du wieder bei Kräften bist, und dann geh!«
»Du kommst mit mir!«
Er fühlte, wie ihre Todesmagie in ihn eindrang und versuchte, seine Gedanken zu lenken, ihn zum Gehorsam zu zwingen. Dabei tauchten Bilder von den Wonnen auf, die sie ihm mit ihrem Leib, ihrem Blut und ihrer Kraft bescheren konnte. Doch Tain vertrieb die Visionen. Er sah sie als das, was sie wirklich war: eine verhungernde Vampirin, erbärmlich und schwach.
»Nein«, beharrte Tain. Seltsamerweise empfand er Mitleid mit der Frau, die sich nicht ausgesucht hatte, zur Mörderin zu werden. Sie konnte nichts dafür, was sie war, genauso wenig wie ein Wolf etwas dagegen tun konnte, dass er Rehe jagte. Wieder hielt Tain ihr seinen Arm hin, auf dem sich die Bissmale bereits schlossen. »Trink!«
Stattdessen griff sie ihn an. Tain wich zur Seite und holte mit dem Schwert aus, dessen Klinge sie quer über den Schultern traf. Mit einem Aufschrei wirbelte sie herum, um erneut anzugreifen. Sie stürzte sich auf seinen Hals, um ihm die Kehle herauszureißen.
Blitzschnell hatte Tain sein zweites Schwert gezogen und überkreuzte es mit dem ersten, so dass die Vampirin geradewegs hineinsprang. Mit einem Ruck wurde ihr Kopf von ihrem Körper abgetrennt, und sie fiel in das modernde Laub auf dem Waldboden.
Vor Tains Augen verwandelte sie sich in das, was sie wirklich war, eine Leiche, und der Gestank war bestialisch, bis sie sich wenige Minuten später in Staub aufgelöst hatte. Als Tain zum Hof zurückkehrte, waren die Bisswunden auf seinem Arm vollständig verheilt. Auch das Vampirblut auf seinen Schwertklingen war fort, gleichfalls zu Staub verfallen.
»Im Wald habe ich eine Vampirin getötet«, erzählte er seinem Vater. »Die, die Soldaten umgebracht hat. Sie ist jetzt fort, also sind die Männer sicher.«
Sein Vater sah ihn streng an und wandte sich ab. Doch Tain hatte die Tränen in seinen Augen bemerkt.
Tains Traum übersprang drei Monate, bis zu jenem Tag, an dem sein Vater ihn anwies, seine beste Tunika anzuziehen und ihm zu folgen. Es war das neunte Jahr unter der Herrschaft Kaiser Domitians, und Tain vermutete, dass sie zu den Saturnalien ins nahegelegene Lager wollten.
Stattdessen aber führte sein Vater ihn zu einer Lichtung, auf der hohe Steine im Kreis standen, wundersame Monolithen, zwischen denen die Luft vor Magie summte. Traurig sah sein Vater Tain an, bevor er mitten in dem Steinkreis auf die Knie sank und sein Schwert mit dem Heft nach oben gen Himmel hob. »Cerridwen, erhöre mich!«
Tain beobachtete ihn verwundert. Noch niemals hatte er erlebt, dass sein Vater die seltsamen Götter verehrte, die von den Einheimischen Britanniens angebetet wurden. Als der gute Soldat, der er war, opferte Tains Vater dem Kriegsgott Mars, der Weisheitsgöttin Minerva und dem Gott der Kraft, Zeus.
Im
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