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Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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unserem Haus entfernt. Ich stellte mir gerne vor, dass das Wasser, das die Nebengebäude fortgerissen hatte, sie mithilfe der Welse am Grund des Flusses wieder zusammengesetzt hatte, und dass in der Scheune, die ich nur aus Erzählungen kannte, jetzt Meerjungfrauen wohnten; und dass im Klohäuschen Wasserungeheuer hausten, mit langen Tentakeln und vorschnellenden Zungen, die an der Spitze geteilt waren.
    Es war wirklich eine Schande, dass Daddy und sein Vater sich nicht um das Anwesen gekümmert hatten. Inzwischen quietschte das alte Haus, wenn man die Treppe raufstieg, und an manchen Stellen, wo das Holz durchgefault war, musste man aufpassen, wo man hintrat. Im größten Zimmer, das wirklich riesig war, konnte man sich im Winter nicht aufhalten, weil es zu kalt war. Der Kamin hing schief von der Mauer weg, und draußen wurde er von einem Balken gestützt, der aussah, als würde er jeden Moment durchbrechen. Der Wind pfiff durch die Spalten im Mauerwerk, und im Sommer krochen Schlangen und Frösche und alles mögliche Ungeziefer herein.
    Im Haus wohnten nur drei Leute, und Daddy und Mama gingen sich meist aus dem Weg. Sie hatten einander nicht viel zu sagen, außer wenn es um Hühner und Schweine ging, und in letzter Zeit auch das immer weniger. Daddy verbrachte die meiste Zeitirgendwo anders, was Mama egal war. Oft lag sie im Bett, mit baumwollgefütterten Kissen im Rücken, und trank ihr billiges Allheilmittel, das sie bei einem Mann kaufte, der in einem staubigen schwarzen Wagen die Gegend abklapperte. Er trug den immer gleichen schwarzen Hut, schwarze Kleider und schwarze Stiefel, und sein Hemd hatte die Farbe von Mehlkleister. Er kam schon seit einer Ewigkeit. Manche sagten, seit zwanzig Jahren, wieder andere wollten wissen, dass der Sohn den Job seines Vaters übernommen hatte. Manche behaupteten sogar, er wäre der Teufel. Ich war ihm auch schon begegnet, ein hochgewachsener, spindeldürrer Kerl. Sein Gesicht wirkte wie aus Holz geschnitzt, und sein Kinn war lang und spitz.
    »Der Teufel braucht kein Auto, das mit Benzin fährt«, hatte Jinx gesagt. »Also ist er kein Teufel. Teufel oder Engel gibt es sowieso nicht.«
    Da war Jinx sich sicher. Bei mir kam es darauf an, ob Dienstag war oder nicht. An Dienstagen glaubte ich alles Mögliche. Aber eins wusste ich: Was der Handelsreisende meiner Mutter verkaufte, war ganz bestimmt teuflisch. Es war eine Mixtur aus Alkohol und höchstwahrscheinlich Laudanum. Er verkaufte es für einen Vierteldollar, und ihn kostete es vielleicht zehn Cents. Natürlich konnten wir uns das nicht leisten, aber Mama kaufte das Zeug kistenweise und nuckelte wie ein Säugling an den Fläschchen.
    Daddy hatte seinen Whisky. Mama hatte ihr Allheilmittel. Davon träumte sie tief, sagte sie immer, und die Träume waren wunderschön und hell, und es gab keinen Fluss vor ihrer Tür. In diesen tiefen Träumen, so erzählte sie, wohnten ich und sie in einem sauberen weißen Haus auf hochgelegenem, trockenen Land. Daddy war gewaschen und rasiert und ging aufrecht, ihm fehlten keine Zähne, und er führte ein Leben, wie es sich gehörte. Wenn sie aufwachte, sagte sie, kam sie sich vor wie in einem Albtraum, und alles, was etwas bedeutete, wurde durch den Dreck gezogen und misshandelt,aber wenn sie einen ordentlichen Schluck von dem Allheilmittel nahm, befand sie sich gleich wieder dort, wo sie sich wohlfühlte. Es tat weh, mitanzusehen, wie ich meine Mama an Fläschchen für fünfundzwanzig Cent und einen verlogenen Traum verlor.
    Das Licht im Haus entpuppte sich als Laterne, die in der Nähe des Fensters auf dem Nachttisch stand. Mama hatte sie angezündet und für mich dort hingestellt. Ich war froh um das Licht, fand es aber auch verdammt gefährlich, es einfach so brennen zu lassen, und dann noch in der Nähe der Vorhänge. Allerdings ließ Mamas Urteilsvermögen in letzter Zeit öfter mal zu wünschen übrig. Ich blies die Laterne aus und ging zum Fenster. Der Regen hatte so schnell wieder aufgehört, wie er angefangen hatte, die Wolken hatten sich geteilt, und der Mond, der einer Apfelscheibe glich, warf sein irgendwie schmieriges Licht durch die Scheibe rein; der Garten funkelte wie eine nasse Fünf-Cent-Münze.
    Schließlich stieg ich mit meinem Holzscheit die Treppe rauf, wobei ich mich das vertraute Geländer entlangtastete. Daddy fiel nicht über mich her. Ich achtete auf die kaputten Dielen und schaffte es bis nach oben, ohne dass eine der Stufen nachgab und ich in den Keller stürzte.

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