Dunkle Gewaesser
Allerdings glaube ich eher, dass sie uns am Busbahnhof in Gladewater auflauern. Weil sie denken, wir wären bei irgendwem mitgefahren. Aber das sind wir nicht, und sie wissen auch nicht, wann sie uns erwarten sollen.«
»Er ist nicht mein Daddy«, sagte ich.
»Was?«
»Das Boot war nicht von meinem Daddy, weil er nicht mein Daddy ist.«
»Nein«, sagte Mama, »das ist er nicht. Außerdem ist Don ein Schlappschwanz. Wenn irgendwas nicht gleich klappt, gibt er sofort auf. Das habe ich in mehr als einer Hinsicht erlebt.«
So genau wollte ich das gar nicht wissen, also sagte ich: »Deshalb fischt er ja auch mit Gift, Strom oder Dynamit, weil’s dann schneller geht.«
»Das spielt keine Rolle. Wir müssen uns ausruhen, und es ist besser, wir überanstrengen uns nicht jetzt schon, bis wir umfallen«, sagte Terry. »Wahrscheinlich ist es sinnvoll, wir fahren tagsüber den Fluss runter, selbst wenn uns jemand sehen sollte. Morgen Nacht scheint der Mond nicht mehr so hell, und in den Nächten darauf genauso. Wenn wir nichts sehen können, riskieren wir, dass wir irgendwo auflaufen oder sogar kentern. Außerdem kommen wir tagsüber schneller voran.«
Keiner von uns widersprach. Wir waren völlig fertig.
Terry hatte ein paar Decken in seine Tasche gestopft, und Mama und Jinx hatten auch welche dabei. Die Decken waren dünn, aber in einer schönen Nacht wie dieser brauchten wir sie eigentlich kaum. Die Bretter, die auf die Stämme genagelt worden waren, waren glatt und geschmeidig, nachdem jahrelang Leute drauf rumgelaufen waren, also konnte man sich gut ausstrecken und es sich bequem machen. Mama suchte sich einen Platz in der Mitte des Floßes, und ich kuschelte mich an sie. Sie war warm, und sie legte den Arm um mich. Die Grillen sägten, und die Frösche quakten, der Wind wehte, und die Moskitos nahmen sich eine Nacht frei; das Floß schaukelte sanft auf dem Wasser.
»Er wollte nicht zu dem Mann werden, der er ist«, flüsterte mir Mama ins Ohr.
»Was?«
Sie sprach leise, und falls Jinx und Terry uns hörten, verstanden sie bestimmt kein Wort.
»Don. Ich glaube, er ist schon als kleiner Junge kaputtgemacht worden, wie ich auch, nur schlimmer. Er stammt aus einer Familie, die viel geerbt hat, aber sein Vater hat fast alles verschleudert. Er hat unablässig Prügel bezogen, und wie ich hat er immer geglaubt, dass er zu nichts taugt. Meine Familie wusste ganz offensichtlich nicht, was sie mit mir anfangen sollte. Wir kamen schon irgendwie miteinander klar, aber sie wirkten immer so abwesend. Ich hab dir nie groß von meinen Eltern erzählt, stimmt’s?«
»Du hast gesagt, dass sie an den Pocken gestorben sind.«
»Ja. Das ist richtig. Aber auch vorher hätten sie genauso gut tot sein können. Ich und Don haben es bei dir kein Stück besser gemacht. Mich wundert nur, dass du nicht so geworden bist wie wir.«
»Ich denke mal, ihr habt euer Bestes getan«, sagte ich. »Aber trotzdem kann jeder für sich entscheiden, was er tut.«
»Das stimmt. Aber nicht jeder entscheidet richtig.«
»Das ist dann seine Schuld.«
»Ich weiß. Ich trage meine Fehler wie einen Mantel, nur dass sie schwerer sind.«
»Du hast getan, was du konntest.«
»Schon möglich, aber viel war das nicht. Ich möchte, dass das künftig anders wird. Don hat nicht nur jede Hoffnung verloren – er hat einfach kein Herz mehr. Das eine kann ich ertragen, das andere nicht. Zwischendurch, wenn er mich mal nicht geschlagen hat, war es ganz schön. Aber dann hat es wieder von vorne angefangen. Irgendwann hab ich nur noch für diese seltenen Augenblicke gelebt.«
»Was du über Daddy gesagt hast … über Don, meine ich … dass er ein Schlappschwanz ist, meinst du das ernst?«
»Natürlich«, erwiderte sie. »Aber ich hab mich auch früher schon getäuscht. Vielleicht hat er ja mehr Stehvermögen, als ich glaube. Aber eins weiß ich: Gene gibt so schnell nicht auf, und sein Kumpel Cletus genauso wenig. Und Constable Sy ganz bestimmt nicht. Schon gar nicht, wenn sie glauben, es gibt was geschenkt oder es springt sonst was für sie raus. Die beiden schuften bis zum Umfallen, wenn sie was umsonst kriegen, aber für ehrliche Arbeit rühren sie keinen Finger. Diesem Geld werden sie nachjagen, bis sie es haben oder bis sie wissen, dass es weg ist. Da bin ich mir sicher. Ich kenne sie schon so lange wie deinen Daddy, und so viel weiß ich immerhin über sie. Früher hab ich gedacht, irgendwo in Don steckt ein guter Mann, nur eben flachgedrückt. Ich hab
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