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Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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sie grau werden, fast noch blonder aussehen; im Gegenlicht sahen wir, dass er sich diesem Zustand rapide näherte, vor allem an den Schläfen und oberhalb der Stirn. Sie wirkten nicht, als hätte er sie eingeölt, sondern eher wie nass zurückgestrichen und in der Sonne getrocknet. Im Wind bewegten sie sich auf seinem Kopf wie trockene Getreidehalme.
    Er trug ein weißes Hemd und schwarze Hosen, die untenrum voller Morast waren, und abgetragene Schuhe, die an der Seite runterhingen. Bestimmt war er schon über vierzig, sah aber noch ganz gut aus. Er lächelte, wie um uns zu zeigen, dass er noch alle Zähne hatte. In meiner Welt auf einen Menschen zu stoßen, der noch alle Zähne hatte, beide Ohren und eine gerade Nase, war ungefähr so selten wie eine Wassermelone in einem Hühnernest. Mama war da eine Ausnahme, und wir drei Kinder natürlich sowieso, aber bis vierzig hatten wir noch ein ganzes Stück vor uns, und auch Mama war noch ein paar Jahre jünger; sie kümmerte sich gut um ihre Zähne und wusch sich und ihre Kleider regelmäßig.
    Während der Mann den Hügel runterkam, lächelte er in einem fort. Besonders kräftig war er nicht, und seit ich erlebt hatte, zu was Jinx in der Lage war, wenn sie wütend wurde, dachte ich mir, wir könnten sie ja dem Fremden mit einem Paddel auf den Hals hetzen, falls er uns belästigte.
    Als er dicht vor uns stand, wandte er sich um und sah Mama an. In seinen Augen schien plötzlich ein Feuer zu lodern. Ich folgte seinem Blick und musste zugeben, dass sie wirklich hübsch war. Wie eine Göttin auf einem Ausflug, um sich von einer Krankheit zu erholen. Ihr langes dunkles Haar glänzte in der Sonne, und ihr Gesicht war so weiß wie Hafer. Sie hatte den Kopf gehoben, und mit Ausnahme ihrer traurigen Augen wirkte sie viel jünger, als sie war. Ich hatte schon immer gewusst, dass sie hübsch war, aber in dem Moment erkannte ich, wie schön sie war, und ich konnte nachvollziehen, warum Don sie hatte haben wollen, warum mein Vater sie liebte. Ich wünschte, ich wär so schön wie sie.
    »Wir haben das Floß genommen, weil wir es brauchten«, sagte Mama.
    »Das geht mich nichts an«, sagte der Mann. »Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich in anderer Leute Angelegenheiten mischen. Allerdings heißt es auch: ›Du sollst nicht stehlen.‹«
    »Aber nirgendwo steht: ›Du sollst nicht borgen‹«, erwiderte Jinx.
    Der Mann lächelte, und in dem Moment wusste ich, was ich von Anfang an hätte wissen müssen, als ich seine schlammbeschmutzten Hosen gesehen hatte. Das war der Prediger, den wir bei der Taufe gesehen hatten.
    Er trat zwischen uns, was mich dazu veranlasste, unauffällig zu einem ziemlich großen Stein in der Nähe des Wassers zu schlurfen, der mir angemessen schien, um ihm damit eins überzuziehen, falls das nötig sein sollte. Aber den Eindruck machte er eigentlich nicht. Er blieb noch immer lächelnd am Ufer stehen, kratzte sich am Kinn und betrachtete unser Floß eingehend.
    »Lässt sich bestimmt schwer steuern, was?«, sagte er schließlich.
    »Ein bisschen«, erwiderte Terry.
    »Mehr als ein bisschen«, sagte Jinx. »Es ist so störrisch wie ein Shetlandpony.«
    »Oh, diese Biester beißen«, sagte der Prediger. »Da sprech ich aus Erfahrung.«
    »Das ist ein Floß«, sagte Terry. »Kein Pony.«
    »Ja«, entgegnete der Prediger. »Aber die junge Dame und ich haben das metaphorisch gemeint.«
    »Hast du kapiert, Terry?«, sagte Jinx. »So haben wir’s gemeint!«
    »Schon klar. Aber ich habe es nicht metaphorisch gemeint.«
    Der Mann wandte sich lächelnd zu Mama um. »Sind das außer dem farbigen Mädchen alles Ihre Kinder?«
    »Nur Sue Ellen.« Sie nickte in meine Richtung. »Die anderen sind Freunde meiner Tochter.«
    »Und Freunde von Ihnen?«
    »Ich denke mal schon. Ja. Sie sind auch Freunde von mir.«
    »Nun, wenn sie die Freunde einer so entzückenden Dame sind, dann sind sie auch meine Freunde. Ich bin Reverend Jack Joy. Der Nachname ist echt. Ich hab ihn mir nicht aus religiösen Gründenausgedacht, auch wenn ich mich als jemand sehe, der den Menschen im Namen des Herrn Freude bringt.«
    »Ich bin Helen Wilson«, sagte Mama, »und das ist meine Tochter Sue Ellen. Das farbige Mädchen heißt Jinx und der junge Mann Terry.«
    »Ihr beide habt keine Nachnamen?«, fragte er lächelnd; offenbar konnte er das nicht abstellen.
    »Vornamen genügen«, sagte Terry.
    Da wurde mir bewusst, dass Mama vielleicht ein wenig voreilig gewesen war, schließlich waren wir auf

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