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Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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der Flucht.
    »Wird ein ziemlich heißer Tag«, sagte Reverend Joy. »Möchten Sie zu mir hoch ins Haus kommen und etwas Tee trinken? Eines meiner Schäfchen hat mir vor noch keiner halben Stunde einen Eisblock gebracht, den sie den ganzen weiten Weg vom Marvel Creek hierher geschleppt hat, und die Hälfte davon ist unterwegs weggeschmolzen. Außerdem noch eine ordentliche Portion Brathuhn. Eis und Huhn befinden sich jetzt im Eisschrank. Wenn von dem Eis genug übrig ist, rühr ich uns vielleicht noch etwas Eiscreme, auch wenn ich das nicht versprechen kann.«
    »Warum sind Sie denn hier unten am Fluss, wenn Sie das alles da oben haben?«, fragte Jinx.
    »Ich hatte noch keinen Hunger und wollte nach dem Wasserstand schauen. Ich hab überlegt, ob ich nicht später ein wenig angeln gehe.«
    »Und, hoch genug?«, fragte ich.
    »Eindeutig. Na, kommt schon, ich hab genug für alle. Das ist auch ein guter Grund, eine Weile vom Fluss weg und aus der Sonne zu kommen. Angeln kann ich auch noch morgen.«
    »Wir haben gerade gegessen«, sagte ich.
    »Dann eben nur auf einen Tee.«
    »Wir müssen weiter«, sagte ich.
    »Ich versteh ja, dass ihr vorsichtig seid«, erwiderte ReverendJoy, »schließlich kennt ihr mich nicht. Aber ich predige schon seit zwei Jahren hier in der Gegend, und bisher hab ich noch niemand erschossen oder aufgefressen.«
    »Es wird wirklich heiß«, sagte Mama und strich sich übers Haar. »Ich hätte nichts gegen ein Glas Tee oder etwas zu essen, wenn es keine Umstände macht. Vielleicht sogar Eiscreme.«
    Überrascht starrte ich Mama an. Sie flirtete! Das hatte ich bei ihr noch nie erlebt; dafür umso öfter bei May Lynn, und die war eine Meisterin gewesen. Aber Mama jetzt dabei zu beobachten war in etwa so, als würde ich in den Spiegel schauen und zum ersten Mal feststellen, dass ich ein Nilpferd mit einem bunten Hütchen war.
    »Sehr schön«, sagte Reverend Joy. »Folgen Sie mir.«
    »Wir können das Floß nicht einfach so hierlassen«, sagte ich.
    »Natürlich könnt ihr das«, sagte der Reverend. »Es ist doch gut festgebunden. Und wenn ihr euch ausreichend erfrischt habt, habe ich noch etwas Holz übrig, aus dem wir ein Ruder bauen können. Auf dem Weg den Fluss runter erleichtert euch das die Sache bestimmt ungemein. Wenn ich mich nicht täusche, hat euch die Strömung, die hier ziemlich stark ist, aus dem Hauptfluss rausgezogen. Nachdem ihr etwas Kaltes getrunken habt und vielleicht noch einen Bissen gegessen, könnt ihr gleich wieder aufbrechen.«
    Bis auf Mama zögerten wir alle. Sie dagegen war aufgestanden und stieg den Hang hinauf. Reverend Joy ergriff die Gelegenheit und nahm ihren Arm. Ich weiß nicht, was er zu ihr sagte, aber sie fand es jedenfalls lustig. Sie kicherte. Das hatte ich von ihr schon lange nicht mehr gehört. Ehrlich gesagt noch nie – sie klang wie ein Schulmädchen, das die Welt um sich rum vergessen hatte.
    Als Mama und Reverend Joy uns ein Stück voraus waren, sagte ich zu Jinx und Terry: »Mir gefällt das nicht.«
    »Vielleicht weiß er, dass wir auf der Flucht sind, und verpfeift uns«, sagte Jinx.
    »Ich bezweifle, dass unsere Verfolger irgendwas herumerzählen«, entgegnete Terry. »Die möchten das Geld doch für sich haben. Aber vielleicht hat der Reverend ein Auto. Er ist ja mächtig hingerissen von deiner Mama, und da ist er vielleicht so großzügig und fährt uns nach Gladewater. Dann brauchen wir das Floß nicht mehr. Kommt, wir lassen deine Mama besser nicht aus den Augen.«
    Wir nahmen unsere Sachen, einschließlich dem Geld und May Lynns Asche, und folgten Reverend Joy und Mama die Anhöhe hinauf.

13
    Das Haus von Reverend Joy war nicht groß, aber massiv aus Holz gebaut und mit Spaltschindeln gedeckt. Es war höher als die meisten einstöckigen Gebäude, die ich kannte. Die Schindeln waren mit einer dünnen, wasserdichten Teerschicht bestrichen, und am Rand lugte Teerpappe darunter hervor. Das Dach glänzte in der Sonne. Die Veranda, auf der ein Schaukelstuhl stand, und die Treppe, die zu ihr hinaufführte, machten ebenfalls einen guten Eindruck.
    Vor dem Haus parkte ein schwarzer Wagen, dem das rechte Vorderrad fehlte und der mit einer Schicht Staub bedeckt war. Die Achse war auf einen Holzklotz aufgebockt, und um den Wagen herum wuchs Gras wie Haare um ein Muttermal. Ein halbes Dutzend Krähen hatte sich darauf niedergelassen und ihn mit ihrem Kot verziert; während wir näher kamen, musterten sie uns misstrauisch. Sah ganz danach aus, als würden

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