Dunkle Gewaesser
nicht finden konnten, kochte ihnen das Blut. Wenn sie mich mit dem Gewehr erwischt hätten, wäre ich angeklagt worden und wahrscheinlich im Gefängnis gelandet. Aber Jaren war ein Farbiger, also gingen sie auf Niggerjagd.
Schließlich spürten sie ihn auf und schleppten ihn in den Wald, wo sie ihn kastrierten, an einen Baumstumpf banden, mit Pech übergossen und anzündeten. Im Kramladen hab ich sie hinterher damit angeben hören. Sie erzählten, wie lange er geschrien hat und wie laut und wie er gestunken hat. Sie waren stolz auf sich.
Daraufhin bin ich in den Wald gegangen, wo sie ihn verbrannt haben. Ich konnte den Fleischgeruch riechen, bevor ich ihn sah. Von ihm war nur noch ein schwarzer Haufen übrig, aus dem Knochen ragten. Irgendwelche Tiere hatten sich an ihm zu schaffen gemacht. Ich wollte ihn begraben und hatte sogar eine Schaufel dabei, aber ich war dazu nicht imstande. Ich taumelte in den Wald, legte mich hin und verlor das Bewusstsein. Später weckte mich ein Geräusch. Ich spähte zwischen den Bäumen durch und sah einen Wagen, der von zwei Maultieren gezogen wurde. Auf dem Wagen hockten ein Mann und eine Frau, die ich gut kannte. Ich hatte mehr als einmal an ihrem Tisch zu Abend gegessen. Es waren Jarens Eltern. Jarens Vater stieg aus, breitete eine Decke auf dem Boden aus, band die Leiche los, legte sie auf die Decke, schlug die Decke darüber und hievte sie hinten auf den Wagen. Als er fertig war, war er von Kopf bis Fuß mit Jarens Asche bedeckt. Und die ganze Zeit über heulte und schrie seine Frau und klagte den Himmel an.
Jarens Mutter kletterte zu der Leiche nach hinten, und sein Papa trieb die Maultiere an, die sich langsam in Bewegung setzten. Seine Mama konnte ich noch lange, nachdem sie außer Sichtweite waren, schreien und zetern hören. Mir wurde übel, und ich musste mich übergeben. Obwohl ich kaum laufen konnte, holte ich schließlich das Gewehr, fest entschlossen, mich dem Gesetz auszuliefern. Aber dann dachte ich, was spielt das für eine Rolle? Sie haben Jaren umgebracht. Und mich würden sie einsperren. Ich war ein Feigling. Ich trug das Gewehr runter zum Fluss, und dort, wo Jaren und ich unter der Eiche so oft geschwommen waren, warf ich es ins Wasser. Erzählt hab ich niemand davon. Hin und wieder hab ich gehört,wie die Männer lachend über den brennenden Nigger redeten. Diesem dreckigen Dieb hatten sie es aber gezeigt! Für sie war Jaren kein Mensch, sondern ein Ding. Ihn zu kastrieren war nicht aufregender gewesen, als einen Eber zu kastrieren, und genauso gut hätten sie einen Baumstumpf anzünden können. Ich hab bis jetzt nie jemand verraten, was wirklich passiert ist. Irgendwann hat mich die Erinnerung daran wie ein Gespenst heimgesucht, und da dachte ich, der Herr hätte mich berufen, sein Wort zu predigen. Jetzt glaube ich eher, dass das mein schlechtes Gewissen war.«
»O Jack.«
»Ja. O Jack.«
»Wie alt waren Sie damals?«
»Dreizehn, aber das spielt keine Rolle. Ich wusste es besser. Ich hab ihn verraten, nur damit ich nicht erwischt wurde. Sie haben ihn nicht mal verhört. Sie haben ihn einfach umgebracht, obwohl sie nicht den geringsten Beweis hatten. Seither frage ich mich, ob sie ihm nicht noch erzählt haben, ich hätte ihnen gesteckt, dass er das Gewehr geklaut hatte.«
»Sie armer Mann«, sagte Mama.
»Ich? Du meine Güte, nein. Ich bin der Abschaum der Menschheit. An meinen Händen klebt Blut, und ich habe versucht, das als Prediger wiedergutzumachen. Und jetzt weiß ich, dass das nicht mal meine Berufung ist. Das hab ich mir nur eingebildet. Und gelernt hab ich daraus auch nichts. Das kleine farbige Mädchen, Jinx – die ist wirklich schlau und hat ein gutes Herz, und ich hab wohl gedacht, ich könnte ihre Seele retten, um eine böse Tat zu sühnen. Dabei bin ich es, der zur Hölle fahren wird, nicht sie. Ich gehöre dem Teufel.«
Da wurde mir klar, dass ich mich getäuscht hatte: Reverend Joy fühlte sich nicht unbehaglich, weil Jinx eine Farbige war. Er schleppte einen riesengroßen Sack Schuldgefühle mit sich herum, und in gewisser Weise hatte sie ihn daran erinnert.
Frösche quakten. Etwas planschte im Wasser herum.
»Ich habe Ihnen auch meine Sünden gestanden«, sagte Mama. »Meine Seele ist genauso wenig rein.«
»Was haben Sie sich denn vorzuwerfen? Sie haben bloß einen gewalttätigen Ehemann verlassen und sind mit Ihrem Kind den Fluss runtergefahren. Meine Sünde wiegt so schwer wie die Welt und ist so finster wie der finsterste
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