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Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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Dabei würd ich mich genauso gern von einer Wassermokassinotter beißen lassen, wie jemand zuhören, der ein Gedicht vorliest.
    Die Frauen, die dem Reverend, wie es Brauch war, während der Woche zu essen gebracht hatten, kamen irgendwann nicht mehr; das war eine feine Sache gewesen, und jetzt war diese Quelle ausgetrocknet wie eine alte Dattelpflaume. Die Frau mit dem versalzenen Huhn – oder die Ameisenbärin, wie ich sie manchmal insgeheim nannte – verschwand als Erste.
    Ab da ging’s schnurstracks bergab.
    Ihr Geschnatter und das der anderen Hennen brachte die ganze Gemeinde so sehr gegen den Reverend auf, darunter auch den Mann, dessen Taufe wir miterlebt hatten, dass sie sich den Methodisten anschlossen, was für Reverend Joy ein ziemlicher Schlag unter die Gürtellinie war.
    »Warum laufen sie nicht gleich zu den Katholen über?«, sagte er.
    Die Schwermütigkeit des Reverend färbte auf uns ab. Terry, der es überhaupt nicht mehr eilig gehabt hatte, von hier wegzukommen, schleppte May Lynns Asche und ihr Tagebuch immer häufiger zum Floß runter. Dort saß er dann mit dem Kübel neben sich und las in dem Tagebuch. Jinx setzte sich manchmal zu ihm und angelte. Wenn sie was fing, schmiss sie es wieder rein. Ich trug mein gutes Kleid ziemlich oft, auch wenn ich gar nicht musste, aber jetzt packte ich es weg und zog wieder meine Latzhose an. Mit der Zeit graute es mir vor dem sonntäglichen Kirchgang und den Gebetsstunden am Mittwoch. Bisher hatte ich sie einfach nur abgesessen, aber jetzt wurde es zunehmend peinlich, dem Reverend beim Predigen zuzuschauen. In seinem Gewand wirkte er kleiner, wie ein Zwerg, der aus Versehen die Hose und die Jacke von einem fetten Kerl angezogen hat.
    An einem Sonntagabend waren schließlich nur noch wir und fünf andere in der Kirche. Vier von den fünf waren alte Leute, die nicht mal dann die Kirche gewechselt hätten, wenn sie lichterloh gebrannt hätte, und einer war der Dorfsäufer, der in der hintersten Bank, wo auch Jinx oft döste, seinen Rausch ausschlief, wobei er sich allerdings nicht zu schade war, hin und wieder »Amen« oder »Gelobt sei der Herr!« zu brüllen, wozu Jinx sich nicht durchringen konnte. Im Unterschied zu Jinx streckte sich der Säufer zum Schlafen manchmal auf der Bank aus, während Jinx nur die Augen zufielen und sie im Sitzen einnickte.
    Jedenfalls, an dem Sonntag, von dem ich jetzt rede, kam Reverend Joy gleich nach der Predigt hinter der Kanzel hervor und eilte zur Tür. Dort wartete er auf Mama und ging dann mit ihr den Hügel runter. Bisher war er immer an der Tür stehengeblieben, um Hände zu schütteln, während wir schon mal vorausgingen. Aber jetzt hatte er offenbar genug davon, wie ein Hund, der keine Lust mehr hat, dem Stöckchen hinterherzurennen, wohlauch, weil die fünf Zuhörer es genauso eilig hatten wie er, den Säufer eingeschlossen.
    Ich und Terry und Jinx schauten Reverend Joy und Mama nach, wie sie den Hügel runter zum Haus spazierten. Es war Anfang Juli und immer noch hell, und wir standen vor der Kirche rum und warfen mit Kieselsteinen nach den Amberbäumen, die in der Nähe der Kirche wuchsen. Wir hatten nichts gegen sie, aber irgendwas mussten wir ja tun.
    »Wir sollten endlich weiter«, sagte Jinx. »May Lynn schafft’s nicht allein nach Hollywood, um ihre Asche auszustreuen.«
    »Das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen«, erwiderte Terry. »Erst fand ich’s hier ganz angenehm, aber das ist jetzt vorbei. Ich hab das Gefühl, als hätten wir uns selbst eingesperrt. Ich komm mir vor wie unter Lotosessern.«
    »Wer?«, fragte Jinx.
    »Das hab ich mal in einem Buch gelesen. Jedenfalls, wenn man sich erst mal mit den Lotosessern eingelassen hat, kommt man nicht mehr von ihnen weg. Du isst den Lotos, und dann findest du alles wunderbar, selbst wenn es das nicht ist. Wir hatten einen Plan, und den haben wir auf Eis gelegt. Ich schlage vor, dass wir ihn wieder auftauen. Für mich ist der Bann hier gebrochen.«
    »Ich weiß nix von irgendeinem Lotos«, sagte Jinx. »Was auch immer das ist.«
    »Das ist nur eine Redensart. Um eine bestimmte Stimmung zu umschreiben. Einen Gedanken.«
    »Warum sagst du das nicht einfach? Warum musst du immer alles umschreiben?«
    »Ich gelobe Besserung«, sagte Terry.
    In jener Nacht lag ich auf meiner Pritsche, döste mehrmals hintereinander ein und wachte wieder auf, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, jemand würde mich schütteln. Als ich die Augen öffnete,ging May Lynn gerade zur

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