Dunkle Gewaesser
ich hüpfte im Kreis herum.
»Das wagt sich keiner bei mir!«, schrie er. »Das wagt sich keiner. Ich krieg euch alle. Jeden einzelnen von euch.«
»Du kriegst ja nicht mal ’ne Erkältung«, rief ich zurück.
Es hagelte weiterhin Steine – Constable Sy hatte einen guten Wurfarm. Mama kroch in die Hütte, die Reverend Joy gebaut hatte, und versteckte sich dort, während Steine auf uns runterprasselten.
Schließlich wurde die Strömung stärker, und wir trieben aus der kleinen Bucht raus auf den Fluss, wo wir außer Reichweite waren. Inzwischen konnten wir den Constable nicht mehr sehen, aber wir konnten hören, wir er uns lauthals fluchend durch Bäume und Gestrüpp nachrannte.
Bald hörten wir jedoch nicht einmal mehr das. Der Fluss war hier kerzengerade, eine dunkle, breite, langgezogene Wasserfläche. Vor uns hätten Sandbänke, Felsen oder Baumstämme sein können, und wir hätten sie erst gesehen, wenn es zu spät gewesen wäre. Aber uns blieb nichts anderes übrig. Wir setzten die Stangen ein, damit sich das Floß nicht drehte, und ließen uns einfach treiben, während Jinx hinten am Ruder ihr Bestes tat.
Mama kam aus der Hütte gekrochen und kauerte sich davor. Der Reverend hatte auf dem Floß gestanden, als könnten ihm die fliegenden Steine nichts antun, und er hatte auch tatsächlich keinen Kratzer abgekriegt. Er sah Mama an und sagte: »Ich glaub, ich hab einen Mann umgebracht.«
Damit sind’s schon zwei, dachte ich bei mir, sagte aber nichts. Jinx allerdings schon.
»Heilige Scheiße, und wie Sie den umgebracht haben«, sagte sie. »Dem hat’s den Kopf einmal im Kreis rumgedreht. Wenn sie noch fester zugeschlagen hätten, dann wär sein Bruder Don gleich mit draufgegangen, und vielleicht wären die Schweine, die er auf seinem Hof hält, auch noch umgekippt. Ich hab noch nie erlebt, wie jemand mit ’nem Stück Holz so zugelangt hat.«
»So fest wollte ich gar nicht zuschlagen«, sagte Reverend Joy und setzte sich auf das Floß, als wären die Beine unter ihm weggeschmolzen. Er hatte immer noch die Pistole in der Hand, und so, wie er sie hielt, so locker und unbesorgt, machte mich das ganz nervös. Mama krabbelte zu ihm rüber und legte ihm einen Arm um die Schulter.
»Mir sah das schon nach Absicht aus«, sagte Jinx. »So fest hab ich noch nie jemand zuhauen sehen, wenn’s keine Absicht war.«
»Jinx, sei still«, sagte Terry.
»Ich hab für diesen Gene nix übrig«, erwiderte Jinx. »Hoffentlich ist er tot.«
»Ich glaube, ich hab was brechen hören«, sagte Reverend Joy.
»Das war sein Hals«, sagte Jinx.
»Sie haben getan, was Sie tun mussten«, sagte Mama.
»Ich bring das ja nur ungern zur Sprache«, sagte Terry. »Aber das Geld ist noch in der Hütte. Und May Lynns Asche auch.«
»Welches Geld?«, wollte Reverend Joy wissen. »Wessen Asche?«
Das waren die Dinge, die Mama ihm auf dem Floß nicht erzählt hatte. Während wir jetzt weitertrieben, holte sie das nach. Nachdem sie damit fertig war, hockte er völlig sprachlos da, den Mund weit aufgerissen. In einer Nacht hatte er seine Kirche verloren, einen Mann ermordet und erfahren, dass er mit einer Bande von Dieben und Grabräubern auf einem Floß festsaß. Das musste er erst mal verdauen. Sein Verstand verabschiedete sich in Regionen, in die wir ihm nicht folgen konnten, und so bald würde er sich auch nicht wieder auf den Rückweg machen. Mit der Pistole in der Hand drehte er sich um und kroch Kopf voraus in die Hütte. Seine Füße ließ er einfach raushängen.
»Das ist ihm offenbar ganz schön an die Nieren gegangen«, sagte Jinx. »Dabei wollte ich ihm nur sagen, dass er echt mit einem Brett umgehen kann. Ich hab das nicht böse gemeint.« Sie betrachtete seine Füße, die aus der Hütte ragten. »Trotzdem, er könnte ruhig noch ganz reinkriechen.«
»Ich glaube, dazu ist er nicht mehr imstande«, sagte Terry.
16
Wir ließen uns ziemlich lange treiben, wobei ich und Terry mit den Stangen dafür sorgten, dass das Floß möglichst in der Mitte des Flusses blieb. Jinx war immer noch am Ruder, und allmählich hatte sie den Dreh raus. Der Reverend hatte gute Arbeit geleistet – das Ruder ließ sich leicht führen und hielt das Floß auf Kurs.
Reverend Joy hatte sich bisher nicht vom Fleck bewegt. Fast glaubte ich, er wär tot, aber Mama kümmerte sich um ihn. Sie packte ihn an den Füßen und zerrte ihn aus der Hütte raus. Daraufhin zog er die Beine an und legte die Hände unters Kinn; in einer hatte er immer noch die
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