Dunkle Gier: Roman (German Edition)
der Lage zu erkennen, dass Julio mehr war als ein potenzieller Feind. Er war ein Mann. Vielleicht keiner, der je ein Freund sein würde, denn wahre Freunde hatte Zacarias ohnehin nur wenige auf der Welt, aber jemand, den er respektieren konnte.
Zacarias merkte nun, wie er die Welt ohne Marguarita gesehen hatte. Andere als Angriffsziele zu markieren war so tief in ihm verwurzelt, dass er sich dessen nicht einmal bewusst gewesen war. Er kannte jeden verwundbaren Punkt an einem Körper, jede Stelle, an der man einen tödlichen Schlag anbringen konnte. So abgetrennt von der Zivilisation war er gewesen.
Marguaritas Hände schlossen sich plötzlich ganz fest um seine, als wollte sie ihm Halt geben. Sie las Empfindungen in ihm, derer er sich nicht bewusst war. Als er danach suchte, fand er Scham. Es beschämte ihn, dass er Männer wie Julio, gute, tapfere Männer, die für seine Familie gekämpft hatten, ja sogar für sie gestorben waren, bisher noch nie wirklich zur Kenntnis genommen hatte. Dass er nicht einmal versucht hatte, sie als das zu sehen, was sie waren.
Bitte nehmt doch Platz und sagt uns, wie es Ricco geht! , schrieb Marguarita auf einen Zettel.
Julios Blick glitt zu Zacarias’ Gesicht, und er trat einen weiteren Schritt zurück in Richtung Tür, als wollte er die Flucht ergreifen, und umklammerte noch fester Leas Hand.
Zacarias atmete tief ein, um seinen Geist mit Marguaritas Duft zu überschwemmen. Er brauchte niemand anderen in seinem Leben, sie dagegen schon, und deswegen bemühte er sich, ihre Gefühle für Julio und Lea zu verstehen. Die beiden Menschen waren ihr wichtig – und deshalb sollten sie auch ihm nicht gleichgültig sein.
»Ja, nehmen Sie doch bitte Platz!« Er deutete auf einen Stuhl, und an der Art, wie er Julio dabei ansah, merkte dieser, dass es ein eindeutiger, wenn auch höflich formulierter Befehl war.
Julio zog sofort einen Stuhl für Lea unter dem Tisch hervor und setzte sich dann auf den neben ihr.
Versuch doch bitte, nicht so einschüchternd zu klingen, bat Marguarita.
Die Sonne soll sie holen, Frau! Sie stehlen mir nur die Zeit mit dir , antwortete er im Geiste, aber es schwang ein scherzhafter Ton in seinen Worten mit, der beide überraschte.
Mit dem Fuß schob er einen Stuhl herum und ließ sich rittlings darauf nieder, während Marguarita Tee und Plätzchen auftischte. Sie wollte sich Zacarias gegenüber hinsetzen, aber er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie auf den Stuhl an seiner Seite. Sie errötete, als sie Julios erhobene Augenbrauen sah.
Was tust du? Das ist keine gute Idee. Ehrlich nicht. Du solltest gar nicht hier sein, Zacarias, und auch niemanden wissen lassen, dass wir … Das ist zu gefährlich für dich.
Du kannst von Glück sagen, dass ich dich nicht auf meinen Schoß gezogen habe, wo ich deinen weichen Körper an meinem spüren kann , neckte er sie. Vielleicht war es ja gar nicht mal so schlecht, Besuch zu haben. Seine Frau war nicht schüchtern, wenn sie mit ihm allein war, doch in Gegenwart anderer war sie es, oder jedenfalls, was ihre Beziehung zueinander anging. Das ergab für ihn zwar keinen Sinn, aber es machte ihm Spaß, sie so nervös zu sehen.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du verheiratet bist, Marguarita?«, fragte Lea gekränkt. »Ich dachte, wir wären gut genug befreundet, um mir so etwas zu erzählen. Und Esteban hast du in dem Glauben gelassen, du wärst noch frei.«
Marguarita zog ihren Notizblock zu sich heran und begann zu schreiben. Aber Zacarias legte schnell die Hand über den Block, als er die Entschuldigung las.
»Sie wollen doch sicher nicht, dass Marguarita sich für etwas entschuldigt, das eine Sicherheitsfrage ist. Ihr Bruder hatte nie ernsthaft vor, sie zu umwerben, und das wusste sie. Ich bin ein sehr wohlhabender Mann und habe viele Feinde. Marguarita hätte es Ihnen gesagt, wenn sie es gekonnt hätte. Falls Sie also ärgerlich sein müssen, dann seien Sie ärgerlich auf mich. Ich habe Marguarita zum Stillschweigen verpflichtet. Und Julio trifft schon gar keine Schuld. Er wusste von meiner Anwesenheit, aber er war nicht über unsere Heirat unterrichtet.«
Wir sind nicht verheiratet.
Zacarias warf Marguarita einen Blick zu, der sie herausforderte, ihm zu widersprechen. Eine Androhung von Vergeltung lag in diesem Blick. Wenn sie nicht anerkannte, was er für sie war …
Wir haben nicht vor einem Priester gestanden.
Das ist doch Unsinn. Wir sind verheiratet. Ich habe die rituellen Worte gesprochen, die uns
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