Dunkle Häfen - Band 1
herum und Ramis bezweifelte, dass sie Rücksicht auf eine junge Frau nehmen würden. Hier gab es nur das Gesetz des Stärkeren. Einige der Piraten wurden zusehends betrunkener. Ihre Stimme, mit der sie lautstark ihre Meinung von sich gaben, wurde immer undeutlicher. Ramis fror, obwohl es stickig warm war. Die Zeit verging so langsam, so bald würde sie hier nicht herauskommen. Edwards Kopf sank gegen ihre Schulter, als der Junge einschlief. Niemand sah, wie Ramis still vor sich hin litt, es kümmerte sich keiner um sie. Doch Bess schien schließlich wie durch ein Wunder zu bemerken, wie blass Ramis war.
Sie beugte sich zu ihr und flüsterte: "Fühlst du dich nicht gut?"
So konnte man es auch nennen. Ramis nickte kaum merklich.
"Du kannst schon aufs Schiff gehen. Er auch." Ein Deuten auf Edward, der inmitten des infernalischen Lärms friedlich schlummerte. "Jemand wird euch zurückbringen. Ich komme später. Hier kann man ja nicht schlafen."
Sie winkte einen Mann zu sich und gab ihm Anweisungen. Ramis verstand nicht, was sie sagte, wegen des Geräuschpegels. Der Kerl bedachte sie mit einem lüsternen Grinsen, Ramis verzog angewidert das Gesicht. Bess ermahnte ihn noch einmal nachdrücklich und drückte ihm ein paar Münzen in die Hand. Er trat zufrieden vor Ramis.
"Komm, Kleine!" Damit schob er sich bereits zwischen den herum wogenden Piraten durch.
Ramis rüttelte Edward an der Schulter um ihn zu wecken. Ihr zweifelhafter Begleiter wartete bestimmt nicht. Edward öffnete schlaftrunken die Augen und richtete sich auf.
"Wir gehen jetzt ", teilte Ramis ihm mit.
"Ich will noch dableiben!" , erklärte er mit kindischer Sturheit.
"Aber du bist eingeschlafen!" Sie fasste sich entnervt an die Stirn. Es eilte und er machte so ein Theater. "Du kommst mit, keine Widerrede mehr!"
Obwohl sie immer ungeduldiger drängte, machte er keine Anstalten, aufzustehen. Schließlich zog sie ihn verärgert am Arm hoch. Edward sträubte sich halbherzig, ließ sich letztendlich aber abführen. Er setzte eine missmutige Miene auf, sicher war er müde. Sie mussten rennen, um den Mann wieder einzuholen.
"Hättest du nicht warten können!" , beschwerte Ramis sich.
Er schaute sie von der Seite an, abfällig.
"Dafür wirst du bezahlt, vergiss das nicht!"
Der Pirat schnaubte.
"Renk dich wieder ein! Ich wurde bezahlt, euch nichts zu tun und euch zum Schiff zu bringen. Wenn ihr so lahm seid, selber schuld!"
Er hatte es eilig und sah sich öfters nervös um. Auch für Angehörige dieser Stadt war es nicht ungefährlich, kleine Gruppen konnten immer noch Beute für größere sein. Sie erreichten den Strand jedoch ohne Zwischenfälle. Die meisten Beiboote wurden inzwischen bewacht, es wäre dumm gewesen, sie einfach stehen zu lassen, wo jeder sie entwenden konnte. Der Mann brachte sie zu den Booten der Fate , an denen auch wieder einige Männer aus der Mannschaft lehnten. Ihr Begleiter steuerte auf sie zu und wechselte ein paar Worte mit ihnen. Sie nickten nach einer Weile ohne große Begeisterung und musterten Ramis und den Jungen. Ihre Gesichter wirkten in der Dunkelheit noch eingefallener, erschöpft von ihren Exzessen vorhin. Vermutlich waren sie auch nicht mehr ganz nüchtern. Sie schoben ein kleineres Boot ins Wasser und ruderten los, kaum dass die beiden Passagiere saßen. Der Mann, der sie hergebracht hatte, blieb zurück, zum Glück.
Die Mannschaftsmitglieder reichten auch schon. Ramis hatte das Gefühl, mit wilden Tieren im Boot zu sitzen. Unberechenbare, dunkle Augen blitzten im Dämmerlicht, das von den Schiffen und der Stadt ausging. In ihren Köpfen gab es keine Schranken durch Moral, am wenigsten in diesem Moment. Während sie ruderten, starrten sie Ramis an, ihr Hunger eher entfacht als gestillt. Vom Ufer scholl Lärm herüber, einzelne Lichter blinkten. Dazwischen das gleichmäßige Platschen der Ruder. Die Fate kam schnell näher, ein großer schwarzer Schatten. Ramis stieg erleichtert an Deck, half dem strauchelnden Edward hinauf, bedankte sich artig bei den Piraten für die Mühe. Dann stieg sie tief durchatmend unter Deck. Eine beträchtliche Anspannung fiel von ihr ab, wich statt dessen Müdigkeit. Sie bemerkte gar nicht, dass ihr schlecht gelaunter Junge ihr nicht folgte.
Aus reiner Angewohnheit durchsuchte sie ihre Hängematten und Decken nach Ungeziefer. Sie fand eine Schabe und zwei kleine Spinnen, außerdem hatte eine Ratte Löcher in die Decken gefressen. Sich zu ekeln, hatte sie notgedrungen aufgeben müssen,
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