Dunkle Häfen - Band 1
sie leicht. Sie war ganz blass, als sie aufsah und ihre Augen rot, doch sie hatte nicht geweint.
"Ramis, erzähl mir von meinem Vater!" , beharrte er ohne jegliches Gespür für ihre Stimmung.
Wohl sah er, wie sehr es sie mitnahm, aber ihr bleiernes Schweigen und ihr Ausweichen reizten ihn dazu, es zu durchbrechen und er vergaß jegliches Feingefühl. Ramis schüttelte nur erschöpft den Kopf.
"Hast du ihn geliebt?" , bohrte er nun weiter.
Sicher war er nicht auf ihre Reaktion gefasst gewesen, genauso wenig wie Ramis selbst. Eine hastige Bewegung von ihr und er schrie auf. Sprachlos starrte sie auf ihre Hand und auf seine Wange, die sich rasch rot färbte. Er war zur Seite gestolpert und konnte es nicht glauben. Noch nie hatte sie ihn geschlagen. Der Ausdruck in seinen Augen verletzte sie selbst auf eine unerträgliche Weise.
Unglücklich zog sie den sich zuerst sträubenden Jungen in die Arme und klagte: "Verzeih mir, mein Kind! Verzeih mir!"
Nun rannen ihr doch Tränen über die Wangen. Es war nicht möglich, dass sie sich gegenseitig so fertig machten, sie hatten sich doch immer Trost gespendet.
"Ich bin doch verrückt!"
Ramis erdrückte Edward fast.
Aber er verzieh ihr schließlich, wie er es bei keinem anderem Menschen getan hätte. Er schmiegte sich an ihren warmen Körper und fühlte sich geborgen.
Als Bess zurückkam, erlebte sie eine Überraschung. Auf ihrem Bett fand sie zwei junge Leute, friedlich schlafend, obwohl Ramis Augen noch immer verquollen waren und Edward einen roten Fleck auf der Wange hatte. Sie wunderte sich nicht wenig, sah allerdings keinen Grund, sie aufzuwecken und legte sich einfach auf die andere Seite, denn das Bett war groß genug für mehrere Personen.
Die nächste Überraschung war für Ramis reserviert, als sie nämlich aufwachte. Sie bekam einen tüchtigen Schreck, als sie Bess vor sich sah. Die beeindruckende Piratin wirkte im Schlaf viel friedlicher, stellte Ramis fest. Nichtsdestotrotz war es eine delikate Situation. Hastig schüttelte sie Edward, der wie üblich kaum wach zukriegen war. Sie musste ihn aus dem Bett ziehen, damit er sich überhaupt bewegte. Er gähnte herzhaft und schien den Ernst der Lage nicht zu begreifen. Er warf einen verwunderten Blick auf Bess und setzte langsam seine Beine auf dem Boden auf. Ramis war das alles schrecklich peinlich. Bess musste sie gesehen haben. Man legte sich nicht einfach in ein fremdes Bett und schlief dort ein! Sie schämte sich sehr. Wer weiß, was Bess nun tun würde. Bei der Piratin war nicht zu erkennen, aus welchem Impuls heraus sie nett zu Ramis war. Diese argwöhnte, dass nur Berechnung oder eine Laune dahinterstecken könnten. Eigentlich sollte das Ramis egal sein, die Hauptsache war, dass es so blieb, aber es war ihr nicht gleichgültig. Im Grunde sehnte sie sich danach, echte und ehrliche Zuneigung zu bekommen, ein vermessener Wunsch in einer Piratenwelt, wie sie sich gesagt hätte, hätte sie es sich eingestanden. Aber dazu war sie viel zu sehr mit ihren zwiespältigen Gefühlen gegenüber Bess beschäftigt.
An Deck schliefen inzwischen wieder mehrere Piraten, selbst der Wache war der Kopf vornüber gesunken. An der Reling lagen mehrere hingestreckte Körper, die Männer mussten irgendwann in der Nacht zurückgekehrt sein. Es war helllichter Tag. Edward lachte über einen Pirat, dessen Kopf fast auf seinem Rücken hing und dessen Mund sperrangelweit offen stand. Er fand, man sollte ihm etwas in den Rachen stopfen, etwas Glitschiges.
"Ob er wohl aufwacht? Sicher ist er total voll!"
Ramis gefiel der Vorschlag nicht.
"Ach Edward, hör doch mit diesem Unsinn auf!" , tadelte sie milde.
Sie trat zur Reling und ließ zwei Eimer herunter, um sie mit Wasser zu füllen. Gleich darauf verharrte sie und legte den Kopf schief. Eigentlich konnten sie sich ja auch mit Süßwasser waschen, schließlich mussten sie hier nicht sparen. Auf der Insel gab es eine Frischwasserquelle. Also holte sie Wasser aus den Fässern. Es war allerdings schon ziemlich abgestanden, vielleicht nicht unbedingt die bessere Wahl.
"Komm zum Waschen!" , rief sie Edward.
Es war wie ein Ritual, er weigerte sich natürlich wieder.
"Die anderen machen das auch nicht!" , rechtfertigte er sich.
"Und so riechen sie auch! Außerdem haben sie Läuse und Flöhe! Ich will nicht dauernd dieses Lied hören!"
Es artete wie üblich in eine Diskussion aus.
"Das schadet sicher!" , behauptete Edward schließlich.
"So ein Quatsch!" Ramis wusste nicht
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