Dunkle Häfen - Band 1
Ihr aber komisch gewandet, meine Dame."
Ramis stieg die Röte ins Gesicht und sie zog sich die Haube vom Kopf.
"Ist sie nicht zufällig deine Tochter, Bessie?"
"Wo denkst du hin! Du kennst meine Einstellung! Ich habe sie aufgelesen."
John Seymoor grinste und wandte sich wieder Bess zu. Ramis staunte immer noch über ihn und Bess.
Dann sagte er: "Ich denke, du weißt schon, dass es jetzt offiziell ist: England, die Niederlande und der Kaiser haben sich zur Großen Allianz gegen Frankreich zusammengeschlossen. Schon Anfang September. Der Krieg ist nicht mehr weit."
"Nein, das wusste ich noch nicht. Aber es war immer klar, dass es eh bloß eine Frage der Zeit sein würde."
"Du wirst wohl noch viel zu tun haben, oder?"
Bess nickte.
"Schade.", fuhr John fort. "Du kannst wirklich nicht...?"
"Nein, es ist unmöglich."
"Na dann."
Die beiden tauschten einen Blick voller Innigkeit. Er ergriff ihre Hände und hielt sie fest.
"Bessie..."
"Lass es, Johnny. Das macht es nur noch schwerer."
Sie verabschiedeten sich und Ramis wunderte sich, warum sie ihrer offensichtlichen Zuneigung nicht nachgaben. Lag es an der Ehefrau? Kaum glaublich. Bess hätte sich davon nicht abhalten lassen. Ramis hätte sich die Piratin nie als Liebende vorstellen können, es überrumpelte sie vollkommen. John Seymoor ließ Bess sichtlich ungern gehen. Ramis sah Schmerz in seinen Augen, als die Tür sich hinter ihnen schloss. Der Portier, offenbar ein ehemaliger Pirat, brachte sie wieder nach draußen und verabschiedete sie ausgiebig.
Auf dem Rückweg zur Stadt konnte Ramis sich die Frage nicht verkneifen:
"Liebt Ihr ihn?"
Ihren Zorn hatte Ramis vor Überraschung und Neugierde fast vergessen. Ein wehmütiges Lächeln veränderte Bess Gesicht.
"Muss wohl so sein. Leider ist es nicht so einfach. Das ist Liebe nie. Einst mussten wir feststellen, dass wir in verschiedenen Welten lebten. Er war mal Pirat wie ich, auf demselben Schiff. Aber als er ein bisschen Geld zusammen hatte, beschloss er, sesshaft zu werden und kaufte die Plantage. Das war nicht das Leben , das ich mir wünschte. Ich lebe für meine Unabhängigkeit. Und als Frau unter lauter Männern sollte man keinen Geliebten haben. Es ist wie mit Königin Elisabeth. Um die Macht zu behalten, durfte sie nie heiraten und ließ sich die jungfräuliche Königin nennen. Du darfst keinen Mann neben dir haben, am besten, sie vergessen sogar ganz, dass du eine Frau bist. Ein Geliebter würde sie daran erinnern, er macht dich schwach. Ja, ich habe meine Liebe dafür geopfert. Jetzt haben wir nur noch geschäftlich miteinander zu tun und schmachten uns an. Mehr würde alles zu sehr komplizieren, es ist ja auch so schwer genug."
Danach schwieg Bess. Ramis war ein wenig verwirrt. Was für eine romantische, tragische Geschichte und die widerfuhr ausgerechnet Bess!
Die Sonne stand schon tief, als sie die Stadt erreichten. Die Straßen waren dicht bevölkert, seit die größte Hitze nachgelassen hatte. Einmal musste Ramis sich an eine Wand drücken, weil eine Kutsche rücksichtslos die Straße entlang geprescht kam. Prompt stolperte sie über etwas. Als sie sich aufrappelte, erkannte sie das Hindernis als eine uralte, runzlige Frau. Sie entschuldigte sich und wollte rasch weitergehen, aber eine knorrige Hand packte sie. Ramis machte sich entsetzt los.
"Warte!" , krächzte die Alte.
Ihr Gesicht war richtig braun, ob durch die Sonne oder weil sie eine Schwarze war, war angesichts ihres Alters nicht mehr zu erkennen. Ihr Haar war grau und struppig, ein buntes Tuch bedeckte ihren Kopf. Sie sah sehr ärmlich aus.
"Dich hat das Schicksal gebracht! Du nicht wissen wollen?"
Das brachte Ramis automatisch dazu, sich näher mit dem Weiblein zu befassen. Es sprach sehr holprig Englisch. Bess war inzwischen stehen geblieben und wartete auf Ramis.
"Willst du vielleicht Geld?" , fragte Ramis nervös und kramte in ihrer Tasche nach den Münzen.
" Kein Geld. Dumm das! Ich bin keine Bettlerin!" Die Alte richtete sich stolz auf. "Wir schon immer hier, lange bevor ihr kamt! Die Insel hier war nicht unbewohnt, wie ihr dachtet. Ich bin Schamanin. Wir leben zwischen euch, ohne dass ihr das gemerkt. Zwischen euren Sklaven!"
Ramis sah sie verwundert an. Sie wusste nichts über die Besiedlungsgeschichte dieser Insel. Sie hatte von den Einheimischen gehört, die lange vor den Kolonialherren und ihren Sklaven auf den karibischen Inseln gelebt hatten. Es schien aber unglaublich, dass man sie hier einfach übersehen
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