Dunkle Häfen - Band 1
lag.
Nachdem sie eine Weile gegangen waren, knüpfte Ramis an ihre Fragen vorhin an: "Was sind denn eigentlich diese Plantagen?"
"Ich sehe, dir geht das nicht aus dem Kopf. Du solltest nicht so weichherzig sein. Das wird dir einmal sehr schaden. Glaub mir, das wird ausgenützt, selbst von denjenigen, denen du helfen willst. Plantagen sind riesige Anbauflächen, auf denen ein einziges Gewächs gezüchtet wird. Dinge, die man in England nicht anpflanzen kann: Tabak, Baumwolle, Zuckerrohr, Kakao. Du wirst staunen, was für Ausmaße diese Plantagen haben. Sie gehören einer einzigen Familie und werden von den Sklaven bestellt. Ich weiß, das gefällt dir nicht. Aber wenn du sie in Afrika gesehen hättest, wäre dir schnell klar geworden, dass sie wirklich nicht mehr als Tiere sind."
"Das ist doch nicht richtig!" Ramis war sehr aufgebracht. "Leidende Wesen, seien es Menschen oder Tiere, darf man nicht so behandeln!"
Bess seufzte.
"Du hast sehr hohe Ideale. Damit wärst du besser an der Philosophenschule aufgehoben, denn hier müssen sie sich zwangsläufig zerschlagen."
Ramis schwieg erbittert. Wenn es so wäre und sie hätte Ideale gehabt, dann hätten sie schon einiges mehr als die Piratenwelt überstanden. Aber Ideale hätte sie es auch nicht genannt. Ideale waren, wenn man an etwas Gutes glaubte und das tat Ramis nicht. In ihren Augen war die Welt schlecht, grausam durch die Menschen, die sie bevölkerten.
Bess führte sie aus der Stadt und nun konnte Ramis auch einige dieser Plantagen sehen. Sie waren wirklich riesig und es schien kein Ende in Sicht. Meilenweit immer die gleiche Pflanze, eine unglaubliche Monotonie. Auf den Feldern waren die Sklaven, schwarze Männer, Frauen und Kind er. Unter der immer stechender werdenden Sonne mussten sie bestimmt noch mehr leiden. Ramis hatte die Lust verloren, länger hier herumzulaufen und sie wollte zurück zum Gasthaus. Außerdem sollte Edward nicht so lange allein bleiben. Sie machte sich schon Sorgen um ihn, nicht dass er wieder etwas anstellte. Unangenehm berührt dachte sie an den Abend in Nassau, als sie ihn das erste Mal geschlagen hatte. Ich sollte ihm vertrauen! schalt sie sich schuldbewusst. Aber trotzdem ist er auch nur ein Kind. Schließlich äußerte sie ihre Bedenken Bess gegenüber.
"Ach was!" , wehrte diese ab. "Der Junge kann gut genug auf sich selbst aufpassen! Das hat er doch lange bevor du ihn aufgelesen hast schon getan."
Sie musste Bess darin recht geben, doch sie fürchtete auch nicht unbedingt, dass eine äußere Macht ihn bedrohen könnte. Er war recht selbstständig, was das betraf. Nein, es ging um etwas anderes...
Es war September und schrecklich heiß. Um die Mittagszeit brannte die Sonne erbarmungslos herunter und Ramis schwitzte in der Hitze. Kurz dachte sie an Maple House, das im Sommer im Vergleich mit hier himmlisch kühl gewesen war, dafür aber im Winter kalt. Sie gestattete sich nicht oft, an dieses Haus zu denken, doch jetzt fragte sie sich, was wohl mit ihm geschehen war. Wohnte Lady Harriet darin, oder hatte sie es verkauft? Während sie im grellen Licht neben Bess her trottete, sah sie im Geiste das grüne und gepflegte Gras im Garten, den Schatten unter den uralten Bäumen. Sie dachte an es fast wie ein Zuhause, stellte Ramis mit einer tiefen Traurigkeit fest. Das Leben hätte schön sein können, sie wäre zufrieden gewesen als kleine Dienstmagd, mit Martha an ihrer Seite. Es war zu viel erwartet gewesen... Selbst diese bescheidenen Wünsche.
Was hat das Schicksal mit mir vor? Weshalb treibe ich durch den Ozean der Welt, ohne Halt und ohne Zukunft?
Sie glaubte nicht, dass sie zu irgendwelchen großen Taten berufen war. Wenigstens hatte man ihr Edward gegeben, damit sie ihm eine Mutter war.
Sie wanderten nun schon geraume Zeit auf einer staubigen Straße entlang, bis diese schließlich an eine Pforte führte, ein großes Tor mit Blumenranken aus Messing. Neben ihm begann eine Mauer, die Ramis um ein paar Köpfe überragte. Durch das Tor konnte Ramis einen weiß gekieselten, breiten Weg erkennen, der auf eine helle Villa zuführte. Er wurde von einer Allee aus exotischen Bäumen gesäumt, die Schatten darauf warfen. Das Haus sah eindrucksvoll aus, wenn auch fast nüchtern im hellen Licht. Es war sehr groß und luftig gebaut. Ein grüner Rasen umgab es, die Hecken waren akkurat geschnitten. Ramis war verblüfft, als Bess an das Tor pochte. Was wollte sie hier? Aus einem kleinen Häuschen, das neben dem Tor stand, kam ein Mann
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