Dunkle Häfen - Band 1
welchen Gefallen du mir getan hast!"
"Ich muss Euch danken, Herr! An dem Tag, an dem ich mein Mädchen wieder in die Arme schließe, werdet Ihr eine haben, die für Euch betet."
Er lachte und warf ihr einen Säckchen Geld vor die Füße, dann trieb er sein Pferd davon. Die Alte streichelte ihre Katze und fragte sich mit Tränen in den Augen, ob ihr Mädchen wirklich noch lebte. Aber für diesen freundlichen jungen Mann würde sie schon jetzt beten.
Logbuch
Anfang 1707, Atlantik
Seit einiger Zeit sind die Dämonen zurückgekehrt. Das Wetter ist denkbar schlecht und vielleicht hat es sie mit sich gebracht. Der Sturm heult auf dem Deck und es regnet schon seit Tagen, als hätte der Himmel seine Schleusen geöffnet. Die meiste Zeit müssen wir deshalb unter Deck verbringen und den Gestank nach feuchter Kleidung und ungewaschenen Körpern ertragen. Dass ich eine eigene Kajüte habe, macht das Ganze wenigstens erträglicher. Die Schlechtwetterfront gefällt den Dämonen natürlich, denn dann ist es schön dunkel und sie können sich überall einnisten. Nachts, wenn William und Edward schlafen, wabern sie um mich herum, diese lichtscheuen Kreaturen. Man hört sie nicht, man sieht sie nicht, man spürt sie. Sie suchen nach dem dunklen Ort in mir, um dort einzudringen. Ich kann sie nicht von mir fernhalten, das kann nur Licht. Einmal sprang ich auf und schrie, um sie endlich zu verscheuchen. Sie krochen in die Ecken, um dort zu verharren und zu warten, bis ich endlich schlief. Die Kinder schreckten auf.
"Was schreist du so schrecklich?" Edward starrte mich fassungslos an, noch ganz schlaftrunken. "Hast du dir wehgetan?"
"Nein, ich habe nur schlecht geträumt."
W ie soll ich ihnen auch sagen, dass ich immer noch gegen Dämonen kämpfe, an die Edward nicht glaubt und von denen William nichts wissen darf? Ich will nicht, dass sie von dem Gefühl wissen, wenn sich die schwärzeste Nacht über einen legt...
Ich frage mich, was zuerst war: Das Licht oder die Dunkelheit? Kann denn aus der Dunkelheit Licht entstehen?
Oktober 1710, Europäische Atlantikküste
Ein Nebel, der so dicht war, dass wir unsere Hand nicht vor Augen sehen konnten, zwang uns, an einer Küste zu ankern, von der wir nicht wussten, welche es war. Wir waren auf dem Weg nach Europa und kurz vor dem Ziel, als uns das Weiß verschlungen hatte. Das Land, an dessen Küste wir lagen, mochte Irland sein, vielleicht auch eine kleinere Insel oder schon England. William bekam Angst, dass sich im Nebel Trolle an Bord schleichen könnten, weil Pirat Smithy ihm erzählt hatte, dass es dort welche gäbe. Der Kleine stellte eine Schale mit Essen an die Reling, damit die Trolle keinen Hunger mehr hatten und keine Menschen fressen mussten.
Zwei ganze Tage hielt der Nebel das Meer in seinem Griff. Wir konnten unmöglich weiterfahren, ohne genaue Ortsbestimmung würden wir bald auf ein Riff auflaufen. Doch am Mittag des zweiten Tages lösten sich die Schwaden ein wenig auf und gaben die Sicht frei. Wir holten den Anker ein und segelten vorsichtig wieder los.
Wir benötigten einen weiteren Tag, um England zu erreichen. Und dann tauchte es wieder aus dem dünnen Nebel auf, dieses Inselreich mit seinen großen Städten. Mein Eindruck davon bleibt für immer mit Maple House verhaftet und ich werde mich dort immer wie im Gefängnis fühlen, egal wie viel Rechte man dem Untertan zugesteht und wie viel Macht das Parlament bekommt. Es wird auch immer Leute geben, die von diesen Zugeständnissen nicht erreicht werden, Arme, die ums bloße Überleben kämpfen und gesellschaftlich Geächtete, die bespuckt werden. Sie interessiert es weniger, wer sie regiert, sei es nun ein König oder ein Parlament, was auch für mich irgendwie das Gleiche ist. Ich sehe diese mächtigen Männer, die darin sitzen, vor mir, ihren kalten und berechnenden Ehrgeiz un d ihre völlige Skrupellosigkeit. Unter manch höflichem Lächeln verbirgt sich eine Abscheulichkeit, die Übelkeit erregt. Nein, ich kann nicht einmal das Land selbst lieben, weil mich seine Erde nicht willkommen heißt, ich kann das Gefühl, heimgekommen zu sein, nicht empfinden. Weil alle mich als Fremde betrachteten, bin ich eine geworden, das sehe ich inzwischen ein. Vielleicht war ich nicht seit jeher eine, vielleicht bin ich tatsächlich hier geboren. Manche nennen mich Piratin, manche Verbrecherin, einige Hure und andere Käpt'n oder Anne, einst nannte man mich Semiramis, bis mein Name in Semi und Ramis zerstückelt wurde.
Weitere Kostenlose Bücher