Dunkle Häfen - Band 1
richtete mir alles her und ich konnte nur hoffen, dass er ein ehrlicher Mensch war und mir meine Drohung nicht nachtrug. Denn sonst hätte er leicht Gift in die Medizin schütten können. Wie versprochen zahlte ich ihm die unverschämt hohe Summe, die das alles kostete und verließ ihn dann rasch, bevor er mich doch noch verhaften ließ. Die Fate lief unverzüglich, nachdem sie den Proviant, den wir vom Rest des Geldes gekauft hatten, aufgenommen hatte, aus.
Es war wie Blutgeld für mich, ich hatte mit meinem Blut bezahlt, aber ich bereute nicht, es g etan zu haben. Ich durfte diesem verfluchten Ring nicht mehr Bedeutung zukommen lassen als dem Leben Williams oder dem meiner Leute. Und als ich zusah, wie alle langsam wieder genasen, wusste ich, es war richtig gewesen. Kein Fluch traf mich.
Sogar William war nach ein paar äußerst bedenklichen Tagen wieder auf dem Wege der Besserung. Er war eine richtige kleine Kämpfernatur, es rührte mich, zu sehen, wie er sich unbewusst an das Leben klammerte. Ich war überzeugt, er wäre dennoch gestorben, hätte ich ihn nicht zum Arzt gebracht. Einige Zeit fehlte mir noch das Gewicht an meinem Hals, nur mein Amulett hing noch dort.
Doch als die Tage dahingingen, begann ich die Geschichte des Ringes als abergläubische Spinnerei einer verwirrten Frau abzutun. Kein Wunder, dass man verrückt wurde, so ganz allein in diesem gespenstischen Haus... Mehr ist wohl nicht dahinter gewesen und ich habe mich all die Jahre umsonst gefürchtet. Oh nein, nicht umsonst, denn ich hätte den Ring viel früher verkauft, hätte ich nicht daran geglaubt. Und nun... Kein Fluch mehr, kein dunkles Geheimnis! Ich muss lachen vor Erleichterung, würde am liebsten tanzen. Tanzen wie die Männer auf ihren Festen, ein wildes Schütteln der Glieder; keine kunstvollen Schritte, sondern wie es einem gerade einfällt.
Doch jetzt höre ich Edward hereinkommen.
William fängt an zu hüpfen: "Eddard! Eddard!" ruft er in seiner Kindersprache, die nicht alle Laute kann.
Plötzlich fällt mir auf, wie groß Edward schon ist. Wie alt wird er jetzt? Dreizehn, vierzehn? Die Zeit vergeht wie im Fluge und auch an mir geht sie nicht spurlos vorbei. Ist mir eigentlich schon klargeworden, dass ich auf die Mitte der Zwanziger zuschreite? Mit dreißig ist eine Frau bereits alt, sagt man. Dabei bin ich jetzt jünger als ich es jemals zuvor war. Ich fühle mich nicht mehr alt und müde vom Leben. Ich lebe!
Entdeckungen
Es war ein merkwürdiger Zufall, dass das alte Weib ihn auf der Straße e rblickte und wiedererkannte. Sie deckte eine alte Geschichte auf, die sich auf eine unglaubliche Weise mit der Gegenwart verwob. Er ritt mit seinem Pferd durch die Straßen und ließ die Menge auseinanderstieben, als eine brüchige Stimme ihn anrief.
"Junger Herr! Haltet an!"
Zuerst wollte er einfach weiterreiten, da er sie für eine Bettlerin oder eine Verrückte hielt.
"So wartet doch! Erkennt Ihr mich nicht mehr?"
Damit hatte sie zumindest seine Aufmerksamkeit. Er zügelte sein Pferd und ritt zurück.
"Was willst du, Frau? Ich wüsste nicht, woher ich dich kennen sollte."
Sie sah nicht gerade wie eine Bettlerin zu ihm hoch. Dennoch streckte sie ihm in einer flehentlichen Geste die Hände entgegen.
"Erkennt Ihr mich nicht mehr?" , wiederholte sie.
Er dachte einen Moment nach. Die Frau sah alt und zerbrechlich aus, doch ihre schmalen Schultern waren noch immer in einer Art einfachem Stolz gestrafft. Ihre Kleidung war schäbig, jedoch ordentlich geflickt. Eine Bettlerin war sie wirklich nicht.
"Ich sagte dir bereits, dass ich dich nicht kenne!" , erklärte er unwirsch. "Woher auch? Pass auf, dass ich dich nicht als Hochstaplerin verhaften lasse!"
"Ich verstehe, dass Ihr E uch nicht mehr an mich erinnert", sagte sie enttäuscht. "Schließlich war ich nur eine einfache Näherin. Aber ich habe in Maple House gearbeitet und habe Euch oft gesehen, wenn Ihr zu Besuch wart."
"Maple House? Natürlich kannte ich nicht alle Dienstboten in Maple House. Es wäre jedoch möglich, dass ich mich doch an dich erinnere. Warst das vielleicht du mit der Garderobe?"
Ihm war ein Vorfall eingefallen, der vor langer Zeit passiert war, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Während sein Vater in ein Gespräch mit Sir Edward vertieft war, hatte sich der kleine Junge unbemerkt davongestohlen. Er war durchs Haus geirrt, bis er ein kleines Zimmer fand, das ihn fesselte. Darin lagen auf einem Tisch lauter glänzende Stoffe, wie sie seine
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