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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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Gefängnis, das war ihr überdeutlich klar. Sir Edward sah von seinem Schriftstück auf, mit dem er beschäftigt gewesen war und blickte seine Besucher an. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er dachte.
    "Nun, was gibt es?"
    "Dieses freche Gör hatte die wichtige Aufgabe, Eure Botschaft an Lord Ashby zu überbringen! Stattdessen ist sie in den Gassen herumgestreunt und hat überdies die Botschaft verloren!"
    Francis hörte sich ehrlich empört an, als hätte sie sich an ihm versündigt. Dabei war sie es, der ständig Unrecht zugefügt wurde. Es stimmte überhaupt nicht, was er da erzählte! Alles ist ganz anders gewesen, wollte sie ausrufen. Ich bin gar nicht schuld. Aber sie tat es nicht, denn man hätte ihr kein Gehör geschenkt. Was für ein Gewicht hatte ihre Meinung hier schon? Diese Leute sahen nur das, was sie wollten. An Bitterkeit konnte man auch ersticken. Die Strafe für ihr Vergehen würde sicher fürchterlich sein. Vermutlich sperrte man sie in eines der berüchtigten Gefängnisse ein, wo fast niemand mehr herauskam. Die Zustände sollten dort schrecklich sein, eine Hölle auf Erden. Manchmal hörte sie die Diener über Newgate flüstern, eines der allerschlimmsten. Nicht einmal einen Platz zum Schlafen fand man dort auf dem Boden. Die Küchenmagd hatte dort ihren Mann verloren, sie hörte nie wieder von ihm und wusste nicht einmal, was ihm zugestoßen war. Oder man würde Ramis öffentlich hängen, als Spektakel für die Massen, die jede Hinrichtung anzog. Der zum Tode Verurteilte musste die vor Mordgier und Freude blitzenden Augen der Schaulustigen ertragen und die Stimmen hören, die nach seinem Blut schrien.
    Ramis war einmal auf so einer Hinrichtung gewesen. Die Köchin hatte sie mitgeschleift, um ihr zu zeigen, wie es 'den Ungezogenen' erging. Man hängte eine alte Frau, die bezichtigt wurde, ihren Ehemann und ihre Tochter getötet zu haben. Ramis spürte die erwartungsvolle Stimmung um sich herum. Die Leute warteten. Einer flüsterte, dass niemand der Gerechtigkeit entgehen könne, auch eine alte Frau nicht. Es war einfach entsetzlich gewesen. Die alte Frau hatte geweint, eine feuchte Spur auf ihren faltigen Wangen. Man sah ihr die Angst an, als sie auf das Podest geführt wurde, den Schock und das Entsetzen, dass ihr das passierte. Den Rest konnte Ramis nicht mehr ertragen, sie rannte weg. Sie verstand nicht, wie man einen Menschen so behandeln konnte. Instinktiv glaubte sie, dass die Alte unschuldig war. Es hatte in deren Augen gestanden. Damals saß Ramis noch lange am Ufer der schmutzig-braunen Themse und starrte auf das strömende Wasser. Sie verspürte eine hilflose Trauer. Menschen wie Sir Edward hätte man hinrichten sollen, nicht eine arme alte Frau. Erst als es dunkel wurde, kehrte sie wieder zurück. Immer noch hatte sie das Gesicht vor Augen, kurz bevor sie geflohen war, diesen Ausdruck, als der Verurteilten klar geworden war, dass es keine Rettung mehr gab, diese entstellte Klarheit. Selbst jetzt noch erinnerte sie sich, als wäre es gestern gewesen. Eindrücke wie dieser prägten sich ihr besonders stark ein. Sie fragte sich, ob die Leute bei ihrer Hinrichtung auch sagen würden: Auch so ein junges Ding kann seiner Strafe nicht entgehen. Das war keine Gerechtigkeit, sondern bloßer Blutdurst und Rache an einer schlechten Welt.
    Sir Edwards Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
    "Nun Semi, das war zwar ziemlich dumm von dir, aber ich werde Gnade vor Recht ergehen lassen. Pass nur gut auf, dass das nie mehr passiert. Sonst..."
    Sie fragte nicht, was sonst wäre. Erleichterung durchflutete sie und verdrängte sogar den Zorn ihm gegenüber.
    "Du kannst gehen."
    Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und floh eiligst aus dem Zimmer. Francis wollte auch schon gehen, als sein Herr ihn noch einmal zurückrief. Ramis war froh darüber, ihn los zu sein. Er hätte ihren Fehler sicher nicht ungestraft gelassen. Das war noch einmal gutgegangen, überlegte sie, als sie einige Zeit später in ihrem Bett lag. Über Sir Edwards unberechenbares Verhalten wollte sie gar nicht erst nachdenken.
     
    Es wurde bereits Herbst und die Blätter der Bäume fielen herunter, wo sie auf dem Boden einen dichten Laubteppich bildeten. Der neue Gärtner hatte viel damit zu tun, alles weg zu rechen. Die Tage wurden immer kürzer und es war oft neblig oder regnete. Eines Abends machte Ramis eine erschreckende Entdeckung. Sie blutete wieder! Ihre alten Wunden mussten irgendwie wieder aufgesprungen sein, obwohl sie

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