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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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begann sie ihr zu erklären, was alle versäumt hatten zu tun.
    Ramis kannte nur die geheimnisvollen Andeutungen des Personals und Marthas magere Erklärung, als sie begonnen hatte zu bluten. Es musste irgendetwas damit zu tun haben, vermutete sie zuerst. Als sie Emily zuhörte, nahm eine viel schrecklichere Horrorversion Gestalt in ihrem Kopf an. Eishände griffen wie Klauen nach ihrer Seele.
    "Welcher Mann oder Junge hat dich auf sein Lager geholt?"
    Obwohl Ramis den Ausdruck nicht kannte, verstand sie sehr wohl. Sie keuchte entsetzt auf und verbarg ihr Gesicht mit den Händen.
    "Bitte nicht!" , flüsterte sie mit viel zu hoher Stimme.
    Emily erkannte ihre ohnmächtige Furcht, diesen Namen zu nennen, als würde ihn das heraufbeschwören. Hilflose Wut stieg in ihr auf. Ein weiteres Mal verfluchte sie ihre Krankheit, die sie an dieses Bett fesselte. Sie war an allem schuld. Wegen ihr konnte Martha ihre Stelle nicht aufgeben, nicht mit dem Mädchen aus London fliehen. Wortlos nahm sie Ramis Hand. Das Mädchen verbarg mit einem kläglichen Laut ihren Kopf in der Bettdecke. Ein stetiges Zittern durchlief den mageren Rücken, der viel zu schwach war, diese unerträgliche Last zu tragen.
    "Erzähle es Martha, Ramis ", murmelte Emily. "Nein, ich werde ihr einen Brief schreiben, dann musst du das nicht auch noch machen. Sie wird tun, was sie kann. Und mein Kind, gib jetzt nicht auf, auch wenn es im Moment nicht möglich scheint. Du bist ein tapferes Mädchen. Und wir zwei werden dir immer zur Seite stehen, du bist nicht allein!"
    Sanft streichelte sie das weiche Haar, das offen und strubblig über Ramis Rücken ausgebreitet lag, weil das Haarband verloren gegangen war. Als Ramis wieder aufblickte, waren ihre Augen trocken. Sie konnte nicht weinen, obwohl ein Chaos von Emotionen sie zu erdrücken schien. Ein einziger Laut kam aus ihrem Mund, ein grässliches Krächzen, bei dem Emily ein Schauder über den Rücken lief. Erneut war die Welt dieses Mädchens zerbrochen, während draußen die Sonne bei den anderen neues Leben erweckte und sich nicht darum kümmerte, dass Ramis in Dunkelheit versank.
     
    Vorerst brachte Ramis es nicht über sich, Martha den Brief zu geben. Es blieb einfach unmöglich für sie. Andererseits konnte sie ihre Situation immer weniger ertragen. Ihr Geist wurde zunehmend verwirrter und das fiel auch Martha auf. Als sie das Mädchen entdeckte, das ziellos durch die Gänge irrte, einen Eimer voll mit den Überresten eines Schlachttieres und dessen Blut in der Hand, den sie sicher draußen hätte ausleeren sollen, erschrak Martha. Ramis konnte nicht genau sagen, was sie eigentlich hier drinnen damit gewollt hatte. Aber sie hatte einen Schuh von Sir Edward in der Brühe versenkt. Sobald Martha versuchte, hinter dieses seltsame Verhalten zu kommen, ließ Ramis den Eimer stehen und rannte davon. Martha durchsuchte daraufhin die wenigen Habseligkeiten des Kindes und fand schließlich den Brief. Der Inhalt schockierte sie so sehr, dass sie sich auf ihr Bett setzen musste, weil ihre die Beine nachgaben. Tiefe Schuldgefühle überwältigten sie. Wie blind sie doch gewesen war! Oder hatte sie es vielmehr gar nicht wissen wollen? Ihr erster Impuls war es, zu Sir Edward zu gehen und ihm ein langes Messer in den Bauch zu stoßen. Eine blinde Wut packte sie. Dieser Unmensch durfte nicht einfach ungestraft davonkommen! Doch es war sinnlos. Das würde Ramis jetzt auch nicht mehr helfen, im Gegenteil, eine solche Tat würde sie alle umbringen. Sir Edward vor Gericht zu bringen, zog sie gar nicht erst in Erwägung. Kein Richter hätte ihn verurteilt.
    Allerdings konnte sie es nicht aushalten, ihr Mädchen so bleich und leblos herumsitzen zu sehen, wie es an die Wand starrte. Es war schlimm. Ramis tat den ganzen Tag nichts anderes, außer einigen Ausbrüchen, die sich gegen die ganze Welt und vor allem gegen das Kind in ihr richteten. Sie schien das heranwachsende Leben zu hassen. Einmal erwischte Martha sie sogar, wie sie versuchte, sich ein Messer in den Bauch zu bohren. Als Martha ihr die Waffe abnahm, schrie sie wie eine Wahnsinnige:
    "Lass mich! Ich muss es töten!" Sie ließ sich einfach nicht beruhigen. "Verstehst du denn nicht?! Dieses...dieses Ding da in mir ist abgrundtief böse, es ist eine Ausgeburt des Wahnsinns! Lass es nicht wachsen, denn es wird uns in die Hölle zerren!"
    Tatsächlich verfiel sie immer mehr einem Wahn. Die krankhafte Angst, dass ein Monster in ihr heranwuchs, hielt sie fest in den Klauen.

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