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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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war.
    "Klar ", meinte er. "So was gibt es öfters."
    Allmählich begann sie den Jungen richtig zu mögen. Er war längst nicht so schrecklich, wie sie bei ihrer ersten Begegnung gedacht hatte. Sicher war er nur ebenso einsam wie sie und durch seine Seele ging ein tiefer Riss. Sie selbst war ja auch oft unausstehlich.
     
    Als sie am Goldenen Drachen ankamen, herrschte dort Hochbetrieb. Es würde also vorerst nichts mit Ramis Präsentation, zumal Lettice gar nicht zu finden war. Die beiden jungen Leute schlichen durch den Hintereingang ins Haus. Fast hatten sie die letzte Treppe zum Dachboden hinauf erreicht, als sie Schritte hörten. Ramis versteckte sich hastig in einer praktischen Nische und Edward tat es ihr gleich. Für ihn war das hier ein Abenteuer, für Ramis dagegen ging es um viel, sie durfte nicht entdeckt werden. Vorsichtig spähte sie ums Eck, weil ihr eine der Stimmen bekannt vorkam.
    "Das ist Mutter ", wisperte ihr Edward zu.
    Die andere klang tiefer, es musste ein Mann sein. Gleich darauf konnte man Lettice sehen und Ramis staunte: Das ehemalige Zimmermädchen hatte sich völlig verändert. Auf einmal wirkte sie nicht mehr alt und müde. Das rote Kleid und die Schminke, die vor zwei Tagen so fehl am Platze gewirkt hatten, gaben Lettice nun eine ganz eigene Ausstrahlung. Tatsä chlich versprühte sie einen fast überwältigenden Lebensmut. Sie war wieder die Lettice aus Maple House, als wäre sie soeben zum Leben erwacht und sie ging sogar noch weiter. Ihr koketter Augenaufschlag fesselte den Mann ganz offensichtlich und ihr ungezwungenes Lachen schmeichelte ihm. Doch Ramis ahnte, dass hinter dieser Maskerade nur Luft war. Bei genauerer Betrachtung wurde schnell klar, wie gekünstelt Lettice Lächeln war.
    Ihr Beruf verlangte dieses Verhalten und Ramis fand bald heraus, dass Lettice sich jedem Mann gegenüber so verhielt. Und sie war nicht die Einzige. Es gab noch so viele andere Frauen, die ebenso waren. Voller Abscheu starrte Ramis den ungepflegten Mann an, der jetzt einen Arm um Lettice legte. Diese lachte und schmiegte sich an ihn, während sie nach dem Türgriff langte. Zusammen verschwanden sie in Lettice Zimmer. Ramis stellte fest, dass sie zitterte. Sie war zutiefst schockiert und irgendwie auch wütend. Wieso sollten gerade die Männer das Recht haben, immer nur die besten Seiten der Frauen zu sehen und von ihnen so behandelt zu werden, als seien sie etwas Besonderes?
    Edward schien das alles nichts auszumachen. Unbekümmert stapfte er vor ihr die Treppe hinauf. Ramis fragte sich, ob es ihn nicht doch tief im Innersten störte, dass seine Mutter sich verkaufte und nur Zeit für ihre Kunden hatte. Aber vermutlich kannte er es gar nicht anders. Ramis und Edward gingen in ihr Zimmer. Heute Nacht war Ramis froh, den Jungen bei sich zu haben. Erstaunt stellte sie fest, dass sie seine Gesellschaft suchte. Sie kannte ihn erst seit zwei Tagen, aber zwischen hatte sich eine seltsame Verbundenheit eingestellt. Vielleicht war das so, weil sie beide einsam waren, immer Außenseiter in ihrer Umwelt. Keiner von beiden hätte je gedacht, einmal so schnell einen Freund zu finden, denn jeder hatte so seine unleidliche Art. Ramis teilte schwesterlich das Essen mit Edward, das Liam ihr mitgegeben hatte. Es war ein richtiges Festmahl für sie, die oft Hunger litten.
     
    Am nächsten Morgen äußerte sich Lettice nicht, als sie ihren Sohn und Ramis auf seinem Bett schlafen sah, die junge Frau noch sitzend, ein verkrümeltes Tuch auf dem Schoß. Der Junge musste umgekippt sein, sein Kopf war auf das Tuch gebettet und Krümel hingen in seinem Haar. Sie mussten mitten in ihrem Mahl eingeschlafen sein, wie zwei übermüdete Kinder. Lettice schien das herzlich wenig zu interessieren, sie weckte Ramis.
    "Was ist denn?" Verschlafen schob diese Edward von sich herunter und kam schwankend auf die Beine.
    "Mach dich rasch frisch ", meinte Lettice nur. "Wir stellen dich jetzt Madame vor. Sieh zu, dass du ordentlich aussiehst."
    " Jetzt? Wie kommt es, dass du zu so einer frühen Stunde schon auf bist? Und können wir diese... Madame zu dieser Zeit stören?"
    "Die Gelegenheit könnte nicht günstiger sein. Falls du es noch nicht gemerkt hast, es ist fast Mittag und Madame dürfte heute recht zufrieden sein, denn sie hat ges tern ein gutes Geschäft gemacht", erwiderte Lettice trocken.
    Verwirrt lief Ramis zum Fenster.
    "Tatsächlich!" , rief sie verblüfft. "Wie konnte ich nur so lange schlafen? Ach herrje, ich sollte längst

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