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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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ich dir etwas geben für die Sachen?" , erkundigte sie sich bei Edward.
    Er schüttelte den Kopf.
    "Ach was. Es war ja nicht schwer, das Zeug zu klauen. Die meisten Leute passen zu wenig auf, manchmal merken sie es gar nicht, wenn ich was mitnehme."
    "Danke ", versicherte sie ihn noch einmal leise ihrer Dankbarkeit.
    Gerade noch hatte sie über den Egoismus der Leute nachgedacht... Dennoch wunderte sie sich, wie man so schnell an Papier herankam. Schließlich trug nicht jeder einfach Schreibzeug mit sich herum. Sie unterließ es aber, ihn danach zu fragen. Es änderte sowieso nichts an den Tatsachen.
    Vor ihr begannen Mutter und Sohn wieder zu streiten, Edward benahm sich trotzig und unverschämt, bis Lettice ihm eine Ohrfeige verpasste. Daraufhin riss er sich los und starrte sie böse an. Seine Wange war knallrot. Er bewarf Lettice mit Ausdrücken, bis er vor ihr floh.
    "Ich schmeiß diesen Bengel noch mal raus!" , zischte Lettice erbost. "Er wird immer schlimmer."
    Ramis verstand die Feindseligkeiten zwischen ihnen nicht. Sie sehnte sich so sehr nach einer Familie, dass sie alles für diese Idylle gegeben hätte. Doch diese beiden schienen sich nur zu treffen, um den anderen zu verletzen. Lettice hatte zu wenig Zeit, um sich um sich um die Zuneigung ihres Sohnes zu kümmern, und zu viel damit zu tun, zu überleben. Kein Wunder, dass der Junge, vollständig sich selbst überlassen, es Lettice so dankte. Er verstand ja nicht ihre Nöte.
     
    Schweigend trotteten die Frauen vor sich hin. Ramis kam sich fremd vor in der Stadt. Überall war sie eine Fremde. Die Menschen auf der Straße gehörten hierher, sie bestimmten das Bild. Ramis dagegen war wie ein auffälliger Dreckfleck auf dem Gemälde der Stadt, sie kam sich wirklich fehl am Platze vor. Deprimiert seufzte die junge Frau auf. Wenn sie wenigstens eine eigene Identität gehabt hätte . Aber sie konnte nicht sagen: Ich bin Ramis und komme von dort und habe ganz bestimmte Eigenschaften. Das einzige, was charakterlich an ihr herausstach, war ihre ewige Ohnmacht. Und das konturlose Gesicht des Wahnsinns. Nicht einmal einen Nachnamen hatte sie. Gewiss hätte Martha sie jetzt wieder kritisiert, weil sie so streng mit sich selbst ins Gericht ging, doch es war nun einmal die Wahrheit. Warum war die Welt heute nur so trostlos? Sie verleitete geradezu zum Grübeln. Dabei sollte sie sich hier viel besser fühlen: weit weg von Sir Edward und dem nebligen London. Aber die Erinnerungen waren nicht weit weg, denn sie waren nahezu unauslöschlich und hatten einen schlechten Beigeschmack. Bei jedem Schritt beschwor ihr Unterbewusstsein alte Bilder der Angst wieder herauf und sie konnte nicht aufhören, daran zu denken, wie eine Selbstzerfleischung. Wann hatte es schon Nächte ohne Alpträume gegeben, ohne unaussprechliche Ängste? Auch hier war es nicht vorbei, anscheinend konnte sie vor dem Feind in sich selbst nicht fliehen.
    "Was machst du denn für ein Gesicht?" Lettice Gesicht schwebte dicht vor dem eigenen.
    Ramis schüttelte den Kopf.
    "Es ist nichts. Ich bin nur müde."
    Zum Glück gab sich Lettice damit zufrieden, vielleicht interessierte es sie auch nicht besonders. Sie brachte Ramis in die Nähe des Hafens, wo sich immer Händler mit ihren Ständen aufhielten. Dort angekommen machte sie Anstalten, sich zu verabschieden.
    "Ich gehe dann mal. Du wirst jetzt wohl selbst zurechtkommen."
    "Halt, warte! Ich habe doch keine Ahnung von Geschäften! Bleib wenigstens ein bisschen!"
    Ramis hörte selbst, wie verzagt sie klang. Der Gedanke, hier ganz allein zurückgelassen zu werden, machte ihr fast Angst. Lettice hatte dafür wenig Verständnis. Sie hätte noch zu tun, erwiderte sie und ihre Anwesenheit sei hier wirklich nicht nötig. Ramis war da anderer Meinung, aber sie konnte Lettice nicht zurückhalten.
    "Ich hole dich heute Abend ab!" , rief diese, während sie sich entfernte. "Sieh zu, dass du bis dahin was verdient hast!"
    Ein wenig verärgert sah Ramis ihr nach, bis sie im Gewühl der Händler verschwunden war. Warum nur ließen alle sie immer mit der Begründung stehen, sie könne das auch allein? Dabei hatte sie nie gelernt, was Selbstständigkeit war. Auch jetzt wusste sie nicht so recht, wo und wie sie anfangen sollte. Sie betrachtete die Stände der anderen Händler, in denen Töpfe und allerlei andere Gebrauchsgegenstände aufgestapelt wurden. Wenn Ramis wenigstens auch so einen hätte! Ratlos ließ sie sich ganz am Rand in einer Ecke nieder, was ihr einen gewissen

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