Dunkle Häfen - Band 1
auf dem Markt sein!"
"Nur mit der Ruhe. Du wirst es schon überleben, wenn du ein bisschen zu spät kommst. Aber Madame wirst du nicht überleben, wenn sie dich hier entdeckt!"
Lettice kicherte in sich hinein, Ramis dagegen fand den 'Witz' überhaupt nicht witzig. Sie hatte das Gefühl, dass es nicht viel an der Patronin des Hauses gab, worüber man hätte lachen können.
Dies war eine ganz richtige Vermutung gewesen, wie sich kurz darauf herausstellte. Lettice brachte sie zu Madames Zimmer und klopfte an die Tür. Einige Sekunden später wurde sie schon aufgerissen und Madame schaute heraus. Ramis war verblüfft. In ihrer Vorstellung war eine Bordellmutter eher eine dralle, gewichtige Frau, auffälliger gekleidet und geschminkt als jede ihrer Frauen. Aber diese Frau war hager, fast dürr und sehr groß. Ihre bereits ergrauten Haare waren so stramm im Nacken festgesteckt, dass es aussah wie ein Helm. Statt einer farbenfrohen Robe trug sie ein schwarzes, hochgeschlossenes Kleid. Wirklich, sie hätte besser in ein Kloster gepasst. Dieser schreiende Gegensatz verwirrte Ramis vollends. Sie starrte Madame sprachlos an und registrierte, dass diese ihren Blick kühl erwiderte. Sie hatte die kältesten Augen, die Ramis je gesehen hatte. Nichts schien diese Frau erfreuen zu können. Um ihren schmalen Mund hatten sich die tiefen Falten der immerwährenden Unzufriedenheit eingegraben. Gegen ihren Willen war Ramis eingeschüchtert von Madame. Sie würde sie, ohne mit der Wimper zu zucken, in die größte Kälte hinausschicken, egal ob es ihren Tod bedeuten würde. Von Madame konnte man weder Mitleid noch sonst irgendeine Herzensregung erwarten. Lettice musste verrückt sein, zu behaupten, Madame sei im Moment recht zufrieden. Es stimmte einfach nicht, die dürre Gestalt vor ihr konnte nie genug bekommen, kein Einkommen der Welt wäre ihr genug.
"Wer ist das?"
Selbst ihre Stimme ergänzte das Bild, das Ramis sich von ihr gemacht hatte. Tief und schneidend. Madame würde in einen düsteren Kerker weit draußen in der tiefsten Einsamkeit passen, schon ihre Erscheinung ließ einen frösteln. Lettice wirkte auch ein wenig kleinlaut, was Ramis ihre Einschätzung bestätigte. Auch wenn man Madame besser kannte, gab es keine freundlichere Beziehung.
"Das ist Ramis, eine alte Bekannte von mir. Sie bittet, hier wohnen zu können. Gegen Bezahlung natürlich. Sie verdient ihr Geld selbst."
Madame zog die Augenbrauen hoch, sonst bewegte sich nichts in ihrem Gesicht. Ihre leblosen Schlangenaugen richteten sich wieder auf Ramis.
"Sie will also nicht wie die anderen arbeiten?"
Lettice sah Ramis an, die erst einmal kein Wort hervorbrachte. Schließlich fasste sie sich ein Herz.
"Ich habe schon eine Arbeit. Ich kann meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Natürlich zahle ich eine angemessene Miete." Es hörte sich überzeugter an, als sie in Wahrheit war.
Madame zeigte nicht, wie sie sich zu entscheiden gedachte.
"Und wo soll sie wohnen? Wohl kaum in einem von euren Zimmern."
"Wie wäre es mit der Dachkammer?" , wagte Lettice vorzuschlagen. "Dort wohnt doch ohnehin schon Edward."
"Ach ja, die kleine Rotznase. Fragt sich nur, wie lange noch. Aber - wie viel hast du zu bieten?" wandte sie sich wieder an Ramis.
Die junge Frau ahnte, dass Madame angebissen hatte. In ihrer Gier würde sie unbedingt Geld haben wollen, also konnte Ramis unter Umständen feilschen. Sie förderte ein Teil ihres Vermögens zu Tage.
"Das reicht nicht!" , bellte Madame. "Was meinst du, wie viel ein Zimmer sonst kostet? Kommst du vom Ende der Welt?"
"Ich komme aus London. Und ich weiß, dass man für gewöhnlich für eine Gerüm -", Ramis unterbrach sich hastig. Sie konnte gar nicht wissen, dass es eine Abstellkammer war. "Äh, eine Kammer im Dachboden nicht viel bezahlt, vor allem, wenn noch jemand darin wohnt. Und außerdem -"
Lettice war sich sicher, dass Ramis jetzt endgültig durchdrehte. Sie sollte sich bewusst sein, dass es Madame hasste, wenn man ihr Widerstand leistete.
"Und außerdem ist Edward ein höchst unangenehmer Zeitgenosse, wie ich mitbekommen habe!"
Madames Augen funkelten böse. Erst als Ramis noch ein paar Münzen oben drauflegte, zeigte sie sich umgänglicher.
"Also von mir aus. Aber wenn du nicht zahlen kannst, fliegst du raus. Ebenso, wenn du mir jemals in die Quere kommst. Ich will von dir während deiner Zeit hier keinen Ton hören. Lass dir das nur gesagt sein. Und noch etwas: Ich will, dass du dabei mithilfst, das Haus in
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