Dunkle Häfen - Band 2
flirten, wenn Ihr das meint!" , fauchte sie gereizt.
"Das merke ich. Doch die meisten reagieren dennoch weniger heftig, wenn man sie anspricht."
"Ich denke, es ist falsch, alle Frauen in einen Topf zu werfen und von der Frau zu reden." ereiferte sie sich. "Immer heißt es: Ich verstehe die Frauen nicht. Als ob man je jede einzelne verstehen könnte! Ist nicht jede anders und hat das Recht darauf, als Individuum betrachtet zu werden? Nur weil man ein allgemeines Bild von den Frauen hat, muss man es nicht auf die einzelne anwenden!"
"Wenn Ihr meint... Ich sehe, Ihr seid eine leidenschaftliche Verfechterin von Rechten, die es nicht gibt. Dagegen gibt es durchaus Eigenschaften, die ich bei allen Frauen gefunden habe."
Sie schnaubte verächtlich und lehnte sich angespannt zurück. Kein Wunder, dass man sich mit diesem unsympathischen Mensch dauernd streiten musste. Andeutungsweise rieb er sich ein Auge, eine Geste, die Müdigkeit verriet. Ramis bewegte sich unbehaglich.
"Kennt Ihr Euch in Euren höfischen Kreisen eigentlich gut aus?", ergriff er wieder das Wort, um erneut einen abrupten Themenwechsel durchzuführen.
Sie schüttelte den Kopf, seiner undurchsichtigen Gesprächsführung leid.
"Ich möchte Euch trotzdem nach jemandem fragen, den ich früher gekannt habe. Er dürfte inzwischen hier leben. Sein Name ist Henry St. John. Er muss kürzlich die Marquise de Vilette geheiratet haben und bei Orléans wohnen. Vorher war er Staatsekretär bei unserem guten alten Pretender in St.Germain. Sagt Euch das etwas?"
Ihr leichtes Zusammenzucken entging ihm nicht, auch wenn nur ein genauer Beobachter es sehen konnte.
"Nein, tut mir leid. Der Name sagt mir gar nichts."
Die Herzogin kannte Henry von irgendwoher. Er hatte nicht erwartet, dass sie etwas wusste, auch die Comtesse hatte ihm nicht viel sagen können. Dabei interessierte es ihn, was sein gefallener Freund machte. St. John hatte lange versucht, in London einen Erlass zu erwirken, der ihm die Rückkehr gestattete und seine Ämter wiedergab. Damit hatte er keinen Erfolg gehabt, wie Fayford sehr wohl wusste. Aber wie er Henry kannte, würde der nicht so schnell Ruhe geben.
Die Dame vor ihm verbarg augenscheinlich mehr als nur ihr Gesicht. Ihr ganzes Verhalten gab Anlass zu Vorsicht, wenn nicht sogar zu Misstrauen. Die Dunkelheit in der Kutsche verschlang ihre Umrisse beinahe vollständig. Ein subtiler Geruch ging von ihr aus, der sich nicht bestimmen ließ.
"Ihr schweigt wie ein Grab", brach er schließlich die Stille.
Genaugenommen sah sie auch aus, als käme sie geradewegs aus einem. Vielleicht war sie doch nicht bei klarem Verstand.
"Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben, falls es das ist. Ich tue Euch nichts."
Daraufhin gab sie wieder dieses komische Geräusch von sich, das er bei ihr schon einmal gehört hatte und das wie ein Lachen klang.
"Seid Ihr wirklich so harmlos wie Ihr tut, Monsieur? Von den Händen lässt sich das Blut waschen, doch vom Stoff der Seele niemals. Dort bleibt ein Fleck zurück, für immer."
Sie stand auf, weil die Kutsche ihr Haus erreicht hatte.
"Es war sehr freundlich von Euch, mich mitzunehmen. Wegen der Umstände werde ich jemanden vorbeischicken."
Ohne auf seine Antwort zu warten, öffnete sie den Verschlag und stieg hinaus. Sie hatte es eilig, wegzukommen. Doch kurz bevor sie in der Tür ihres Hauses verschwand, drehte sie sich noch einmal um.
Tagebuch
August 1720, Paris
Die Frage, ob die Ereignisse am vergangenen Abend Zufall gewesen sind, beschäftigt mich zunehmend. Nachts, als ich in meinem Bett lag und meine Gedanken halbwegs zur Ruhe gekommen waren, schoss es mir durch den Kopf: Seltsam eigentlich, wie alles zusammengepasst hat. Seit wann kommt es vor, dass der Stall völlig leer ist, gerade als ich gehen will? Dabei weiß ich genau, dass immer einer da sein muss , um auf die Kutschen und Pferde aufzupassen und für Gäste, die frühzeitig das Fest verlassen, bereit sein soll. Nun ja, kaum eine halbe Stunde später war ja auch wieder jemand da... Bleibt auch noch Fayford selbst. Wieso verließ gerade er von über hundert Gästen kurz nach mir die Gesellschaft und nahm dann genau denselben Weg wie ich? Nein, nach Zufall klingt das nicht. Mir wird ganz flau im Magen, wenn ich daran denke, dass er wohl doch mehr Interesse für mich aufbringt, als er zeigt. Ich glaube nicht, dass er mich besonders mag. Wenn ich seinen berechnenden Blick spüre, wird mir unwohl. Ich hoffe nur, dass ich mich irre und
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