Dunkle Häfen - Band 2
Obwohl... Glaubt Ihr, was man sagt? Dass Liebe und Hass dicht beieinander liegen? Es wäre schlimm, oder? Wenn ich daran denke, heute liebe ich jemanden aus vollem Herzen und morgen... Oder andersherum... Nein, das glaube ich nicht! Wenn man jemanden wirklich liebt, dann kann man ihn niemals hassen. Aber ich komme vom Thema ab. Wisst Ihr, was man mir so übel nimmt? Meine Fremdheit... Das kann man mir nicht verzeihen. Alle spüren, dass ich nirgends zuhause sein kann. Und es geht soweit, dass sie mich behandeln, als verbürge ich eine schreckliche Verdorbenheit und verschanzte mich nur aus diesem Grund hinter einer schweigenden Mauer. Ich bin mir sicher, wenn ich hundert Jahre früher gelebt hätte, sie hätte mich als Hexe verbrannt."
Oft scheint sie in der Tat verrückt zu sein, dachte der Marquis bei sich, hütete sich allerdings, es auszusprechen.
"Ihr macht Euch selbst zu schlecht. Ihr benehmt Euch eben in einer Weise, die sie nicht nachvollziehen können. Und denkt einmal daran, wie Ihr unberührt am Teich gestanden habt, während die Comtesse zu ertrinken drohte. Das war keine unbedachte Tat. Habt Ihr sie etwa nicht mit der Absicht hinein gestoßen, sie sterben zu lassen?"
Sie zuckte mit den Achseln.
"Ich nahm nie an, dass sie zwischen so vielen Menschen tatsächlich ertrinken würde. Aber Ihr habt recht, dass es mir in diesem Moment eine Genugtuung gewesen wäre. Sie überschreitet zu oft die Grenzen des Erträglichen mit ihrer Stichelei. Es gab Leute, gegen die ich viel weniger hatte und trotzdem töten musste. Meine Hände sind ohnehin schon blutbefleckt."
Er schüttelte verständnislos den Kopf. Ihre Gleichmütigkeit jagte ihm nun doch fast Angst ein. Er erkannte, dass sie zwar ihre Skrupel überwinden konnte, wenn sie es für nötig hielt, aber dass die Schuldgefühle sie nachher zu erdrücken drohten, sobald sie sich eines Unrechts bewusst war. Tief in ihren Augen stand eine übermächtige Schuld.
"Macht Euch nicht so viele Gedanken, Anne. Diese Leute waren gewiss Eure Feinde und hätten Euch ebenso getötet."
Sie seufzte traurig und ihr Blick schweifte kurz über die Comtesse und den Lord.
"Man kann auch Schuld auf sich laden, ohne selbst zu töten. Und diese ist noch bitterer, denn auch sie ist nicht wiedergutmachbar."
Das Paar schaute nun auch zu ihnen herüber. Impulsiv zog der Marquis Ramis in die Arme. Seltsamerweise wehrte sie sich dieses Mal längere Zeit nicht dagegen. Fayford wandte sich gleichgültig wieder ab, doch die Comtesse starrte sie weiterhin an. Ramis machte sich wieder los.
"Ich sollte jetzt wohl mein em Mann Gesellschaft leisten", sagte sie mit rauer Stimme.
"Er wird sich selbst beschäftigen können, so wie immer."
Sie runzelte sorgenvoll die Stirn.
"Die Situation hat sich geändert, Marquis. Und wir müssen viel mehr zusammenhalten und vor allem höllisch aufpassen. Ihr werdet einsehen, dass wir uns nicht in der Öffentlichkeit umarmen können, so harmlos es auch sein mag. Sie warten nur auf ein en Fehltritt."
"Wer sind den n sie ?"
Darauf ging sie nicht näher ein, sondern verabschiedete sich. Harmlos , hatte sie gesagt. Nein, so harmlos waren seine Gefühle bestimmt nicht. Er begehrte sie noch immer mit Körper und Geist, ihre Unerreichbarkeit hatte ihn nur fester an sie gefesselt.
Als Ramis Guillaume ausfindig gemacht hatte, stellte sie fest, dass sie höchst ungelegen kam. Er diskutierte gerade mit jemandem und sie störte offensichtlich. Hier war sie überflüssig, doch wo sollte sie sich jetzt hinbegeben? Mit dem Marquis konnte sie nicht mehr reden, denn sie durften nicht noch mehr Anlass zum Klatsch geben. Den König in der Menge zu entdecken, gab ihrer Entscheidung, wieder einmal frühzeitig zu gehen, den Ausschlag. Wenn sie sich bei Louis verabschiedete, würde er sie nicht gehen lassen, davon konnte sie ausgehen und so verdrückte sie sich wie üblich klammheimlich. Keiner nahm Notiz von ihrem Verschwinden. Den Weg nach draußen und zu den Ställen kannte sie gut und so brauchte sie keine Begleitung. Aber als sie nach ihrer Kutsche rief, kam niemand. Auch auf wiederholte Rufe tauchte keiner auf. Die Stalltüren war en verschlossen, als sie daran rüttelte. Konnte es denn sein, dass hier kein Mensch war? Wo, um Himmelswillen, waren all die königlichen Stallknechte, die für die Gäste bereit sein sollten? Ramis fluchte über die Unzuverlässigkeit und gab es auf. Sie wollte jedoch nicht zurückkehren und machte sich zu Fuß auf den Weg. Kaum war sie
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