Dunkle Häfen - Band 2
wieder, weil andere wichtige Angelegenheiten ihre Aufmerksamkeit beanspruchten. Zum einen dachte sie darüber nach, ob Louis merkwürdige Gefühle weit genug reichten, um sie gehen zu lassen. Aber vermutlich würde seine kindliche Schwärmerei sie nur noch mehr an Paris binden. Es war wieder eine der Zeiten, in denen sie sich vorzustellen versuchte, wie es wäre, in die Karibik zurückzukehren. Sie konnte es nicht recht und wenn es ihr gelang, so war es die Vergangenheit, die sie zurückrief. Um sich davon abzulenken, traf sie sich viel mit Adélaide, während ihre beiden Kinder spielten. Adélaides Mann beobachtete ihre Treffen zwar finster, doch er unternahm nichts dagegen. Ramis brauchte gerade kaum etwas mehr als eine Freundin, die sie aufmunterte und sie daran hinderte, in ihren grüblerischen Gedanken zu ertrinken. Völlig unfreiwillig tauchte darin irgendwann immer Fayford auf, den sie ziemlich oft am Hof sah. Er unterhielt sich mit den Leuten oder schäkerte mit der Comtesse de Magnon, die er allen anderen vorzuziehen schien. Die Comtesse machte keinen Hehl daraus, wie sehr sie die Liaison genoss. Sie pflegte den anderen höhnische Blicke zuzuwerfen und zog vor allem über Ramis her. Die Herzogin brachte das stets zur Weißglut, weil sie gar nichts dagegen tun konnte. Ihre Wut blieb unter dem blickdichten Tuch verborgen, das ihr Gesicht schützte. Es wurde schon leichter, wenn der Marquis sich zu ihr gesellte.
Ihm fiel dabei eine Veränderung bei ihr auf. Zwar konnte er sich nicht genau erklären, worin diese bestand, aber es war etwas anders. Und während sie vorher jede Empfindung schon im Keim erstickt hatte, drohte sie jetzt davon zu bersten. Den Rücken unbeugsam durchgestreckt stand sie neben ihm und benötigte dennoch jemand en, der sie stützte. Weiterhin fiel ihm auf, dass sie ständig diesen Engländer und die Magnon beobachtete. Wie hatte er diese Comtesse eigentlich jemals so verehren können? Ja, sie war außergewöhnlich schön und hatte eine Ausstrahlung, die einem das Blut zum Kochen bringen konnte, doch war Ramis nicht viel mehr? Sie hatte es nicht nötig, jemandem zu gefallen und das machte sie in den Augen der anderen überheblich, denn sie entzog sich ihrem Einfluss. Sie befand sich auf einer Ebene, auf der man sie nicht erreichen konnte. Die Comtesse hatte das sofort erkannt und verübelte es ihr. Es gab manche Frauen, die sich auf eine unbewusste Weise sofort bis ins Innerste kannten und sich instinktiv durchschauten. Er war sich beinahe sicher, dass die beiden zu dieser Sorte gehörten und auch die Comtesse mehr als viele andere in Ramis lesen konnte. Und sie würde nicht ruhen, ehe sie sich für die ihr angetanen Demütigungen gerächt hätte. Er würde diese Schlange im Auge behalten müssen.
Einmal wandte Ramis sich mit einer merkwürdigen Frage an ihn.
"Seht Ihr eigentlich in mir eine Hexe? Ob bösartig oder nicht, spielt keine Rolle."
"Wie bitte?" Er schreckte überrascht auf. "Wie um alles in der Welt kommt Ihr darauf?"
Ramis hörte ihm gar nicht zu. Sie blickte aus dem Fenster.
"Spürt Ihr nicht manchmal eine dunkle Beklemmung, wenn Ihr bei mir seid?"
"Ich weiß wirklich nicht, was in Euch gefahren ist! Natürlich nicht! Ich fühle mich in Eurer Gegenwart so wohl wie sonst nirgendwo. Ihr müsst verrückt sein!"
Ihm wurde gleich klar, dass er mit dem letzten Satz etwas Falsches gesagt hatte, denn sie antwortete heftig:
"Ja, da seht Ihr es! Jeder nennt mich verrückt, selbst Ihr! Nein, Ihr habt das schon so gemeint, es war das, was Euch durch den Kopf gegangen ist... Und Ihr habt recht. Ich war immer wahnsinnig, auch wenn man es oft nicht sehen kann. Könnt Ihr sie denn nicht spüren, diese andere Seite an mir, diejenige, die unkontrolliert und grausam ist? Ihr wisst, dass die anderen mir böse Absichten unterstellen und mich eine Hexe nennen. Doch haben nicht die meisten Gerüchte irgendwo einen wahren Kern? Mein Gott, was rede ich da!"
"Die anderen sind dumm und unbedacht, wenn sie so etwas denken. Oder sie wollen Euch verleumden … Nur die, die Euch hassen, denken sich solche Dinge aus. Hat je einer Eurer Freunde dergleichen gesagt?"
"Aber ich bin sch on mehrmals einfach ausgerastet", erwiderte Ramis leise. "Und ich habe so viel gehasst. Hassen mich die anderen deswegen, weil sie es spüren? Das Böse..."
" Dann müssten sie Euch ja lieben", meinte der Marquis ironisch. "Denn sie sind selbst böse."
"Das heißt trotzdem nicht, dass man jemand en liebt.
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