Dunkle Häfen - Band 2
spiegelten und Insekten anlockten. Die Fontänen stiegen glitzernd in dem Abendhimmel, um dann plätschernd wieder herunterzufallen. Alles war in einen überirdischen Glanz getaucht und die Luft war heute ganz wunderbar lau. Dieser erste Ball im Freien stand noch ganz im Zeichen der ungetrübten Lebensfreude. Gegen Mitternacht sollte es ein großes Feuerwerk geben. Es würde Ramis erstes sein und sie war ausgesprochen gespannt darauf. Als der Ball eröffnet wurde, war klar, dass es ein prächtiger Abend werden würde. Bald ließ sich Ramis von der allgemeinen Stimmung mitreißen und tanzte mit den anderen die Gesellschaftstänze des französischen Hofes. Sie verspürte eine Freude, die sie geglaubt hatte nie wieder empfinden zu können und eine Freiheit, die durch die Sorgen, die sie beiseite geschoben hatte, noch intensiviert wurde. Heute Abend würde ihr die Comtesse de Magnon gar nichts anhaben können, die bewundernden Blicke der anderen machten sie unverletzbar. Erhitzt vom Tanz machte sie schließlich eine Pause. Sich mit einem filigranen Fächer Luft zufächelnd sah sie sich um. Ein Stück entfernt entdeckte sie den Marquis. Sobald er ihren Blick auffing, kam er zu ihr herüber.
"Ein schöner Abend, was?" , fragte sie leichthin.
Er betrachtete sie voller Erstaunen und küsste ihr dann die Hand.
"Ihr werdet immer schöner, Anne. Und heute Abend könnte nichts mehr vollkommener sein als Ihr."
Ramis musste lächeln.
"Doch, der Abend heute ", erwiderte sie.
"Wollt Ihr trotzdem einen kleinen Spaziergang mit mir machen?"
Sie nickte. "Hier ist es mir jetzt doch ein wenig turbulent geworden."
Sie verschwieg, dass ihr einige der Blicke um sie herum doch ein wenig unangenehm geworden waren. Sich wie eine Dame zu benehmen und wie eine umworben zu werden, machte sie nervös. Am Arm des Marquis schlenderte sie einen der Gartenwege entlang. Sie schwiegen eine ganze Weile und dachten vor sich hin.
"Und bald werdet Ihr heiraten ", meinte er irgendwann leise. "Seltsam, seit ich Euch aus dem Meer gefischt habe, habe ich Euch als meinen Schützling betrachtet. Tja, inzwischen seid Ihr eine richtige Französin geworden. Ich muss zugeben, es missfällt mir, Euch abzugeben."
"Abzugeben? Bin ich denn ein Gegenstand?"
Insgeheim aber dachte sie: Ich bin ebenso wenig Französin wie ich Engländerin bin. Eigentlich sollte das keine Rolle spielen, aber warum tut es das dann für mich? Muss denn eine Identität mit einer Staatszugehörigkeit zusammenhängen? Nein, wirklich nicht, doch dennoch ist es so.
An einer Kreuzung kam von rechts eine Frau anspaziert. Es war die Comtesse. Sie warf Ramis einen bitterbösen Blick zu. Der Marquis sah sie gar nicht, er war so sehr in Gedanken versunken. Ramis lächelte sie an, alles war heute so einfach.
Bei einer Parkbank neben einem makellosen Rasen hielt der Marquis an. Er half Ramis beim Hinsetzen und ließ sich anschließend neben ihr nieder. Es war dunkel geworden und Ramis hob das Gesicht zum Nachthimmel.
"Was meint Ihr, was dahinter kommt?" , fragte sie.
"Der Himmel?"
"Ja, vielleicht. Doch wo ist die Hölle?"
"Euch muss das sicher nicht kümmern, Anne. Ihr seid schon jetzt ein Engel."
Plötzlich überkam Ramis Traurigkeit. Nein, sie war kein Engel. Für Menschen ihres Schlages blieb nur die Hölle, zu viel Schuld hatte sie auf sich geladen. Ein lauter Knall ließ sie beide auffahren. Über ihnen breitete sich funkelnd und sprühend eine riesige Blume aus.
"Das Feuerwerk!" , rief Ramis.
Fasziniert starrte sie auf die atemberaubende Vorstellung. Mit einem weiteren Krachen schoss das nächste Kunstwerk in den Himmel.
"Kommt, lasst uns zurückgehen und es aus der Nähe anschauen!"
Sie zog den Marquis mit sich und staunte ständig von neuem. Auf einmal blieb sie stehen. Von hier hatten sie eine wunderbare Aussicht.
"Mein Gott, ist das schön!"
Der Marquis stand dicht neben ihr, sie hatte ihm ihr Profil zugewandt. Der Geruch nach würzigen Kräutern, den sie bevorzugte, stieg in seine Nase.
" Ihr seid schön...", murmelte er erstaunt, als wäre ihm das zum ersten Mal wirklich aufgefallen.
Sie drehte sich ihm verblüfft zu.
"Ich wusste nicht..."
Ehe sie sich versah, hatte er den Kopf gesenkt und küsste sie auf den Mund. Seine Hände umfingen sie und drückten sie an sich. Obwohl er sie sanfter küsste, als es jemals jemand getan hatte, erstarrte sie. Heftig riss sie sich los und stieß ihn von sich. In ihrem Gesicht spiegelte sich etwas wieder, das ihm fast Angst
Weitere Kostenlose Bücher