Dunkle Häfen - Band 2
unsterblich in einen jungen Dichter verliebt, obwohl sie nach wie vor von ihrem Gönner abhängig war und der sich langsam als eifersüchtig herausstellte. Adélaide traf sich heimlich mit ihrer neuen Flamme und versuchte, Ramis als Wächterin für ihre Stelldicheins einzuspannen, die sie warnte, wenn jemand kam. Ramis hatte dazu wenig Lust, sollte ihre Freundin doch etwas vorsichtiger vorgehen.
Die ehemalige Piratin versuchte ihrerseits, den Frühling zu fühlen. Sie wollte angesichts des schweren Duftes der Blumen ebenfalls davon schweben wie die anderen und sehnsüchtig vor sich hin träumen. Doch sie glaubte sich wie in eine dicke Schicht eingepackt, die sie gegen alles abschirmte. Einmal, in einem unbeobachteten Augenblick, legte sie sich sogar bäuchlings auf die Erde, um das strömende Leben darin zu spüren. Aber es weckte nur etwas anderes, dass sie nicht fliegen ließ, im Gegenteil, es machte sie schwer wie ein Sack und sie stöhnte. Hier gab es keine Natur mehr, die einen an ihr Geheimnis gemahnen konnte, hier sollte die Natur unterdrückt und dem Menschen unterworfen sein. Das war jedoch aussichtslos, dachte Ramis. Niemals, auch wenn es noch so sehr schien, konnte der Mensch die Natur selbst beherrschen. Er war ja nicht einmal Herr über seine eigene Natur. Beinahe finster betrachtete sie die Vergnügtheit der anderen und leistete dem königlichen Paar im Trübsinn Gesellschaft.
"Ihr solltet Euch des nachts auf die Dächer begeben und dort splitternackt im Mondenschein liegen!" , tuschelte Adélaide ihr vergnügt zu. "Ich habe gehört, das hilft gegen jede Trübsinnigkeit. Danach seid Ihr aufgeheizt wie eine Haremsdame aus dem fernen Orient, die auf ihren Herrn wartet."
Ramis wollte eine empörte Erwiderung loslassen, aber plötzlich fühlte sie sich sehr alt. Musste sie nicht jedem, der sie hörte, wie eine alte Jungfer erscheinen, die nur noch Freude daran hat, andern das Leben zu vermiesen? In ihr tobten unterdrückte Leidenschaften, die sie niemals herauslassen würde, dazu war sie gar nicht fähig. Nie wollte sie sich eingestehen, dass sie doch irgendwann überkochen könnten, denn sie hatte viel zu viel Angst vor ihnen.
An einem regnerischen Tag ließ König Louis den ungewöhnlichen Gast zu sich rufen.
"Wir haben Euch e twas sehr Wichtiges mitzuteilen", eröffnete er nach der üblichen Begrüßung. "Wir denken, Euch ist ebenfalls klargeworden, dass es so nicht weitergehen kann. Wir haben Eure Situation schon vor eine Weile angesprochen, nun müssen Wir Euch deutlicher nahe legen: Als Bewohnerin dieses Hofes könnt Ihr nicht länger vom Vermögen eines Marquis abhängig sein, der Euch überdies nichts schuldet. Außerdem sollte eine gebürtige Edeldame nicht ohne Titel an einem Königshof leben. Auch die Verwandten Eures Mannes scheinen nicht mehr gefunden werden zu können und Ihr steht mittellos da. Deshalb machen Wir Euch heute wieder einen Vorschlag: Heiratet, Madame Anne."
"Ich sage Euch, Majesté, das ist unmöglich!"
"Warum denn?" Eine Spur unwirsch musterte der König sie. Er schätzte es nicht, wenn man ihm widersprach.
"Ich... ich will – kann – nicht heiraten!"
"Da Ihr so offensichtlich eine Abneigung gegen das Heiraten habt, hat sich Madame de Maintenon die Mühe gemacht, nach einem geeigneten Mann Ausschau zu halten. Derjenige - " , König Louis verzog in leichter Missbilligung die Lippen. "Er würde gar nichts anderes als eine Ehe wollen, die rein auf dem Papier steht. Ihr müsstet keine Ehe leben, aber alles hätte seine Ordnung."
Stumm starrte Ramis ihn an.
"Nun, wie lautet Eure Entscheidung?"
Diskret machte er ihr klar, dass sie nur noch einen Platz hier hätte, wenn sie einwilligte. Ramis fühlte sich überrumpelt.
"Gebt Uns Bescheid, wenn Ihr Euch entschieden habt", sagte Louis, als er sie huldvoll entließ.
Den ganzen Tag über grübelte sie fieberhaft. Auf einmal hatte sie Angst, diesen glänzenden Kokon zu verlassen und in die Welt hinauszugehen. Schaudernd erinnerte sie sich der Schwierigkeiten, die ein Neuling bei den Piraten hatte. Sie wurde auch älter. Und hielt man sie dort nicht längst für tot? Aber wie konnte sie heiraten und damit ihre Kinder im Stich lassen? Und wie konnte sie als Ehefrau bei einem Mann leben? Die Ehe vollziehen... Allein beim Gedanken daran zitterte sie. Der König hatte gesagt, die Ehe würde nur auf dem Papier bestehen. War dem denn zu trauen? Die Zeit schien zu drängen, doch sie konnte sich zu keiner Entscheidung
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