Dunkle Häfen - Band 2
sie das eine Weile getan hatte, ohne eine Antwort zu bekommen stand sie auf und streckte ihm ihre schlanke Hand hin, die in einem blauen Handschuh steckte. Ohne zu zögern küsste er sie.
"Grämt Euch nicht, Madame. Die Angelegenheit ist nicht mehr wichtig. J ean ist weg und Ihr habt gewonnen."
"Ja ", sagte sie wenig überzeugt.
Sie glaubte durchaus nicht, dass die Angelegenheit damit zu Ende war. Als sie hinausging, beschäftigte sie sich mit einer Frage, die ihr durch den Kopf ging. Wie viel Macht hatte sie tatsächlich über ihren Mann?
Doch i n der folgenden Zeit nahmen tausend andere Dinge Ramis in Anspruch. Sie musste sich um Charlotte kümmern, bei Hofe erscheinen, sich mit Louis unterhalten und obendrein einen beträchtlichen Haushalt führen. So hatte sie auch nicht die Muße, sich um die Comtesse zu kümmern, die sich verdächtig still verhielt. Nachmittags besuchte Ramis Adélaide und erneuerte die Freundschaft mit ihr. Deren Kind war inzwischen auch geboren, ein kleiner Junge und Erbe. Wenn Charlotte und er alt genug waren, konnten sie miteinander spielen. Ramis wollte nicht, dass ihre Tochter so isoliert aufwuchs wie sie selbst.
Im selben Jahr, am 1. Juli 1717, um genau zu sein, büßten die legitimierten Prinzen, die Kinder der Mätresse Montespan und Louis XIV, allen voran der Duc de Maine, ihr Erbrecht endgültig ein. Sie verloren den Prozess gegen den Regenten, obgleich Louis XIV in seinem Testament verfügt hatte, dass die Prinzen erbberechtigt wären. Später gab es noch mehrere Intrigen und Verschwörungen deswegen, denen Ramis allerdings keine Aufmerksamkeit schenkte, ebenso wenig wie der Sache mit dem Schotten John Law, der 1717 ganz Paris auf den Kopf stellte. Er kam mit einer neuen Idee in die Hauptstadt: Er verkaufte Aktien und löste damit eine ungeheure Spekulationswut aus. Plötzlich wollte jeder Aktien kaufen, um reich zu werden. Es gab tatsächlich einige, die von einem Tag auf den anderen wohlhabend wurden und manch ein Adliger oder gutsituierter Bürger musste auf einmal seinen Koch oder gar sein Dienstmädchen neben sich in der Oper entdecken. Emporkömmlinge, schimpften sie verächtlich und ärgerten sich über das 'Volk', das sich eine Weile zahlreich unter sie mischte. Ramis machte sich nie die Mühe, das Prinzip hinter den Aktien zu verstehen und als alles wie ein Kartenhaus zusammenbrach und mehr als einer völlig ruiniert war, war sie froh darüber, nie an dem Trubel teilgenommen zu haben. Dem Marquis war es dagegen weniger gut ergangen, er hatte gewaltige Verluste mit seinen Aktien gemacht und musste deshalb in der folgenden Zeit sparen.
So vergingen wieder eineinhalb Jahre.
Das Band zerreißt
Bevor der Winter des Jahres 1718 hereinbrach, unternahm das Herzogspaar de Sourges eine Reise auf eines ihrer Landgüter. Es lag im Süden, im Winter war es angenehm mild. Sie blieben ein paar Monate dort und erholten sich von dem anstrengenden Leben in Paris. Erst im Frühling kehrten sie in die Metropole Frankreichs zurück. Schnell lebte Ramis sich wieder in den Trott am Hof ein. In ihrer Abwesenheit war nicht mehr passiert als sonst. Doch ein paar Wochen später wurde ein in Ruhestand versetzter Gouverneur einer der französischen Kolonien zurückerwartet. Ramis fand heraus, dass er seinen Dienst in der Karibik getan hatte und seitdem brannte sie darauf, mit ihm reden zu können und die neuesten Entwicklungen zu erfahren. Sie bekam erst eine Gelegenheit, sich mit ihm zu unterhalten, als der offizielle Empfang und die Verleihung eines Ordens vorüber waren. Sobald der Mann sich einmal von den anderen wegbewegte, nahm Ramis ihn Beschlag. Sie lächelte freundlich und stellte sich vor, wobei sie sich Mühe gab, ihre fast unerträgliche Ungeduld zu unterdrücken.
"Ihr wisst doch sicher, was da drüben vor sich geht?", begann Ramis, nachdem sie der Höflichkeit genüge getan hatten und das allgemeine Geplänkel einstellten.
"Natürlich, meine Dame. Interessiert Euch das denn?"
"Äh, ja. Von Haus aus, sozusagen. Ich hatte einen Onkel, der bei der Marine war. Die Karibik war seine Leidenschaft."
"Ihr sprecht in der Vergangenheitsform. Ist er denn tot?"
"Ja, schon lange. Bei meinem Alter ist das eigentlich nicht verwunderlich."
Er widersprach mit einer Schmeichelei.
"Aber Madame, wenn ich das sagen darf: Ihr seht keinen Tag älter als zwanzig aus. Ihr hört Euch jedoch so an, als wäre Euer Onkel früher gestorben als geplant?"
"Einen Tod plant man nie,
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